Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Wenn es dem Leben nicht gelingen sollte, mich dem Katholizismus in die Arme zu treiben, wird es sicherlich dem Internet gelingen: Diesem allseitig so demonstrativ volksgesunden, besserwisserischen, selbstgerecht gehässigen, durch und durch gemeinen Ding, diesem ewigen, sich selbst schreibenden Boulevard.

Ich lese František Kubkas Karlsteiner Vigilien, Berlin Ost 1970, zaks Zufallsfund: Einundzwanzig Geschichten mit Frauennamen, eine lockere Rahmenhandlung, und vorsichtig kolorierte Illustrationen.

Bei der Weinlese im dem Weinberg Clos Saint Jean wurde er vom Herrn des Weinbergs, dem Bürgermeister von Beaune, Ramuse-Laurent, mitten unter die zahlreichen Gäste geleitet, Männer und Frauen, die schon am frühen Morgen zusammengekommen waren und gewürzte Pasteten gegessen hatten, die dann in geselliger Runde bis zum Mittagessen geblieben waren, das aus Krebssuppe, Goldfasanen und gedünstetem Rindfleisch mit Artischocken bestand, hatten dann bis zum Abendessen getanzt, bei dem sie duftende Leberwürste, Schinken und Weißbrot verspeisten, hatten bis Mitternacht dem Wein zugesprochen, wo dann eine Hühnerbouillon serviert wurde, und so feierten sie weiter bis zum nächsten Morgen, wo man dann die Betrunkenen aus Kannen begoß und die Tänzer wieder zum Frühstück rief. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht sangen die Männer und jauchzten die Frauen, die Tugend so manchen Mädchens nahm Schaden, und die Ehefrauen vermochten es nicht, ihre Männer zu bewachen. Unter den umgestürzten Tischen lagen sich schlummernde Paare in den Armen, und man konnte nur schwer unterscheiden wem welche Glieder gehörten. Solch ein Fest wurde auf dem Weinberg des heiligen Johann gefeiert, daß die Goldenen Berge vor Scham leicht erröteten, so wie sie jeden Herbst zu erröten pflegten. Aber vielleicht war es auch nur die septemberliche Abendröte hinter durchsichtigem Nebel.

Ich lese Wilhelm Worringer, Formprobleme der Gotik, München 1920, (zu dem ich über Mark Fishers exzellentes Flatline Constructs komme):

Die Raumgrenzen sollen derartige sein, als ob der Raum sie sich gleichsam selbst gesetzt habe, um sich dem unendlichen Raum gegenüber zu individualisieren. Es soll der Eindruck natürlicher Raumgrenzen entstehen, innerhalb derer der Raum ein selbständiges, organisch gebundenes Leben führen kann. So soll das Unsinnliche, nämlich der Raum, wieder versinnlicht, das Immaterielle wieder materialisiert, das Unfassbare wieder objektiviert werden.

Ich schaue mir edmonds fleurs de paris an und Le Camp.

Und bewundere die Großzügigkeit.

Link | 19. Juni 2010, 21 Uhr 06 | Kommentare (1)


Ein Kommentar


Bloß weil alle zum falschen Posting kommentieren, muss ich das ja nicht auch tun. Trotzdem möchte ich zu diesen, aus meiner und des Franzosen Sicht, mit dem ich mich hier gern gemein mache, doch sehr falschen Vorbehalten anführen, dass ich bereits in Burgund weilte, mehrmals, und dass es dort eben genau so zuging wie in obigem Text beschrieben, mit Leberpastete, und Wein, und allerlei anderen Sinnesfreuden. Und vor allem, dass dies genau so sein musste und muss und gar nie nicht anders gehen kann, dort, in diesem wunderbaren Burgund. Wir werden am Wochenende genauer berichten, das Fräulein G. und ich, denn auch sie war mit mir dort und so teilen wir zum Beispiel die wunderbare Erfahrung, dass man Wein auch tatsächlich weinen kann. Was wir, wenn ich mich nicht vollends täusche, tatsächlich im wunderbaren Beaune schauen durften.

Kommentar by zak | 12:54