Game of Thrones spricht den kleinen Machiavellisten in uns an: Diesen Teil von uns, der es attraktiv findet, sich mit Intelligenz und Willen im Machtspiel durchzusetzen. Der sichtbare Text der Serie, die explizite und auf erster Ebene implizierte Motivation der Figuren, die Konstellation von Interessen, die den Häusern zugewiesen sind, erzählt von diesem Durchsetzungs-, und, in den meisten Fällen, Machtwillen.
Die Personnage von Game of Thrones ist, wieder auf den ersten Blick, gewaltig. Viele verschiedene Möglichkeiten sollten sich also bieten, das Machtspiel zu spielen. Bei näherem Hinsehen fällt aber auf, daß zumindest die Erwachsenen, mit ganz wenigen Ausnahmen, alle ein- und dieselbe Person sind: Diese Person, die zu jedem zufälligen Zeitpunkt einen Verrat begehen wird, für den dann eine Motivation anzugeben sein wird, die ins Framework „Machtwille“ passt. Die ganz wenigen Ausnahmen, also die Personen mit Individualität im GoT-Setting, werden als zumindest erpressbar dargestellt.
Diese hohe Verfügbarkeit von unabsehbarem Verrat erlaubt der Serie, die Handlung mit großem Tempo und überraschenden Wendungen voranzutreiben: Bei GoT ist immer etwas los, es ist nicht nötig, Entwicklungen lange vorzubereiten. Leider führt das auch dazu, daß die dargestellte Welt nach einer Weile hochgradig bizarr und alles andere als glaubwürdig wirkt.
Ein Beispiel: Die Folge in der zweiten Staffel, in der Tyrion Lannister drei Leuten am Hofe drei verschiedene Geschichten erzählt, unter der Bedingung von Verschwiegenheit, um herauszufinden, wem er nicht trauen darf.
Das ist sehr Game of Thrones: Eine gewitzte kleine Intrige, ein machtbewusster, aktiver, intelligenter Zug angeblich; Tyrion, soll gezeigt werden, ist besser geeignet für die Politik in King’s Landing als sein an seiner aktiven und passiven Aufrichtigkeit gescheiterter Vorgänger Ned Stark. Auch das Ergebnis von Tyrions kleiner Erkundung ist GoT-typisch: Der Unzuverlässige ist der engste Vertraute des Hauses Lannister, der, von dem man es am wenigsten erwartet hätte. Man hasst diesen Alten ohnehin, weil er den Tod des als Sympathieträger konstruierten (nur leider erpressbaren) Ned Stark so vehement gefordert hatte. Epische Elemente also: Verrat im engsten Kreis, und endlich etwas Gerechtigkeit gegen einen Unsympathen.
Leider fällt im größeren Bild auf, wie unsinnig Tyrions Zug war. Wir haben aus ihm nichts über King’s Landing gelernt, und Tyrion hat auch nichts erfahren. Denn was sollte das sein? Wir wussten alle längst, wem man in King’s Landing trauen darf: Gar keinem nämlich. Der Text der Serie hämmert uns das permanent ein. Da jeder jederzeit jeden Verrat begehen kann, ergibt die Aufdeckung einer einmaligen und zufälligen Verfehlung keinerlei Sinn, und die erreichte Gerechtigkeit ist schal.
Das ist das Problem von GoT: Mit diesem schicken, angeblich machiavellistischen Menschen- und Poltikbild, mit dem die Serie operiert, kann sie keine Geschichten erzählen. Sie erzählt zufällige Folgen von Gewalttaten.
Aus diesem Menschen- und Politikbild heraus erklärt sich auch, warum die Serie darauf verzichten kann, wirkliche Charaktere zu entwickeln: Das Weitertreiben der hochdynamischen Handlung wird es ohnehin erfordern, jede Person zu irgend einem Zeitpunkt für ein paar Minuten in die GoT-Standardperson zu verwandeln: Den Idioten mit Agenda.
Game of Thrones verbrämt diese Schwäche wortreich mit machiavellistischem Text. Der kleine Renaissancefürst in uns, der nie herausdarf, darf sich hineinprojizieren in die GoT-Welt: Im Büro funktioniert er nicht (selbstverständlich nur, weil wir zu nette Menschen sind in Wirklichkeit), wir wissen aber, daß wir ihn in uns hätten. Auch formal begeht GoT eine geschickte Täuschung: In der episch gemeinten, sich über mehrere Staffeln ziehenden Handlung passiert eigentlich nicht viel. Sie ist die modische Verbrämung dafür, daß Game of Thrones, wie seinerzeit Derrick, immer wieder die gleiche, jeden Abend abgeschlossene Geschichte erzählt und denselben Charakter durchexerziert. Die gute alte Serie ist zurück: Wir kennen das alles schon von letzter Woche.
Daß es nur einen einzigen Charakter in GoT gibt, lässt auch die angebliche Multiperspektivität wie dünne Tünche aussehen. Wahre Multiperspektivität zeigt eben nicht, daß jeder vor sich selbst sein Handeln immer rechtfertigen kann, immer gute Gründe dafür angeben können wird und seine Persönlichkeit als Entschuldigung: Das ist eine Trivialität. Kein Bösewicht ohne moralische Rechtfertigung.
Wahre Multiperspektivität müsste zeigen, daß zwei wirklich verschiedene Perspektiven von einer unabhängigen Warte aus beide richtig sind: Dann entsteht der dramatische Konflikt, dann bin ich als Zuschauer auf der Seite von beiden gegen das Schicksal.
In der Pseudo-Dramatik von GoT bin ich die ganze Zeit gegen beide (oder alle) eingenommen und hoffe nur, daß das Schicksal irgendwann aufräumt mit diesem Gesocks, was es aber wegen des kaputten Menschen- und Weltbilds der Serie niemals tut.
Männliche Strategie ist übrigens gewalttätig in Game of Thrones, weibliche heimtückisch: Alle männlichen Akteure, die nicht körperlich gewalttätig agieren, sind in ihrer Normmännlichkeit auf die eine oder andere Art beschädigt.
In der zweiten Staffel übertreibt Game of Thrones sein zweifelhaftes Rezept endgültig: „We do not sow“. Das ist nun sehr dreist. Daß es ein Adelshaus mit einem solchen Motto geben können sollte, ist schlechterdings lächerlich. Eine stabile, bekennende Räuberdynastie also. Das ist in der Geschichte nicht vorgekommen. Es gab Räuber, es gab vielleicht sogar räuberische Dynastien, aber es gab nie Räuberdynastien, die sich dauerhaft zu ihrem Räubertum bekannt hätten: Wer sich nicht zumindest den Anschein von Legitimität gibt (im Sinne von Beteiligung an gemeinsam zu leistender Überlebensarbeit), wird selbstverständlich früher oder später niedergemacht und ausgerottet. Der Grund, warum die Iron-Islands-Leute in Game of Thrones nicht ausgerottet wurden, ist schon wieder GoT-typisch: Jedenfalls in der letzten Generation war jemand dämlich (nämlich weichherzig, wofür es in der GoT-Welt keinerlei Rechtfertigung gibt).
Und so ist das immer: Die Figuren oszillieren zwischen vulgärmachiavellistischen Sprüchen und Dämlichkeit hin und her, wie es dem Fortgang der Handlung passt. Was dargestellt wird, ist eine Welt ohne Vertrauen, in der zufällige Allianzen zu zufälligen Gewalttaten führen. All das verbrämt mit der Geste: So ist eben Politik.
Nein, so ist sie eben genau nicht.
Immer wieder gelingt es zwar Einzelnen, sich davon zu überzeugen, daß dieses Erklärungsschema ihr Leben erkläre: Daß sie also von machthungrigen Dummköpfen immerzu übervorteilt würden und daß sie selbst machiavellistisch aufrüsten müssten, mitspielen und gewitzter sein als die anderen, um endlich ihren verdienten Erfolg zu haben. Diese Leute gehen normalerweise schnell unter.
Immer wieder gelingt es Gruppen, andere davon zu überzeugen, daß dieses Erklärungsschema ihr Leben erkläre: Daß also die Welt von machthungrigen Dummköpfen beherrscht werde und man also nicht nur entschuldigt, sondern aufgefordert sei, deren kaputtes Spiel mitzuspielen. Das endet üblicherweise mit einem Krieg, den irgendjemand gewinnt und an dessen Ende entweder das Vertrauen in Institutionen und Mitmenschen zurückkehrt oder ein Polizeistaat eingerichtet wird.
Eins der wichtigsten Machtmittel wirklicher Politik, nämlich die Tatsache, daß alle das Gefühl haben wollen, im Grunde anständige Leute zu sein und zu den Guten zu gehören, und daß deswegen mit der Konstruktion dieser Illusion fast alles zu erreichen ist, fehlt in der GoT-Welt völlig. Loyalität und Werte, unbekannt in Westeros, machen Politik überhaupt nötig, und möglich.
Dieses bizarr einäugige Politik- und Menschenbild von Game of Thrones passt in den Diskursraum der Gegenwart allerdings durchaus hinein: Die Serie hat schon diesen enormen Erfolg, weil die Erzeugung des Gefühls, von lächelnden Feinden umstellt zu sein, zur Zeit wieder eine zentrale Propagandafigur wird. Griechen von Deutschen umstellt, Deutsche von schmarotzenden Griechen, Bayern von schmarotzenden Berlinern, undsoweiter. Den engsten Verbündeten die guten Absichten abzusprechen, scheint ja das Gebot der Stunde zu sein. Winter ist coming, und wenn man es nur oft genug sagt, wird es schon stimmen irgendwann.
Eine mögliche Verteidigung der Serie läuft noch über die Fiktionalität des Settings: Das ist ja eben bewusst nicht das Europa oder England des elften Jahrhunderts, es ist Westeros, und bei der Erfindung der Reiterhorden im Osten spukten vielleicht gar nicht die guten alten Mongolen, sondern eben die Klingonen im Kopf des Autors herum. Wir sind in einer Was-wäre-wenn-Welt. Es gibt ja sogar Drachen. Na fein: Das mag wohl sein, weitet aber die vorgebrachten Argumente nur auf das ganze Genre aus: Dann ist das eben eine weitere Instanziierung dieser Sorte Fantasy, die für unreife Underdog-Jungs geschrieben wird und in der die epische Großgeste (alles wird sich ändern) nur der Hintergrund für Geschichten von unwahrscheinlichen Ermächtigungen ist. Diese Fantasy habe ich als unreifer Underdog-Bursche nun durchaus gemocht, aber man wächst da doch heraus.