Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Also, sprechen wir ohne weitere eigene Krachtiaden und Montreux-Allusionen über Eurotrash. Voraussetzen sollten wir, um das Diskursfeld nicht erst selbst auskundschaften zu müssen, vielleicht diese kluge Rezension von Christian Metz.

Eurotrash handelt allerdings nicht von Schuld und Erinnerung, wie die anderen Bücher von Christian Kracht nicht von Schuld und Erinnerung handeln.

Die nationalsozialistischen Verbrechen sind nicht das Thema Krachtscher Literatur – dazu ist Kracht zu jung und er hat zu viel Geschmack; schreibt einer seiner Generation, oder gar meiner, dazu, ist es immer schlimmer Feuilleton-Streberpulp. Trotzdem sind bei Kracht alle irgendwie Nazis, geben Nazigeld aus; Reichtum kommt, so scheint es, immer aus dem Kosmos von Bernt Engelmanns Macht am Rhein: Alte, manchmal feudale oder koloniale Vermögen, die in Komplizenschaft durch die NS-Diktatur gerettet oder junge Vermögen, die in ihr auf nicht mehr aufzuklärende räuberische Weise erzeugt worden sind. Schreckliche herrschsüchtige Charaktere, Männerbünde mit all ihren Abgründen, zwei Geschosse hohe Büros in jungen Versicherungskonzernen, mit Messing-Doppelportalen und paranoider Fernsprech- und Überwachungstechnik in Bundespost-Erbsgrün und Gold: Die Welt, in der der Journalistenklub im Springer-Hochhaus entsteht. Kein erfundenes Milieu, aber eins, das weitgehend unsichtbar ist und auch nach dem Faserland-Ereignis, zumal es zunächst lange viel Verwirrung gestiftet hat, unsichtbar geblieben ist.

Eurotrash handelt, wie die anderen Krachtbücher und die Zeitschrift, von einer spezifisch europäischen Version des Reichtums. In Eurotrash zeigt Kracht eine seiner Karten und erwähnt Bataille direkt: Verschwendung ist, wenn man in Reichtum hineingeboren ist, die einzige Chance auf Souveränität — tragischerweise macht Verschwendung souverän, entschuldet aber nicht. Der schuldigen Herkuft von Reichtum ist nicht zu entkommen, und bataillesches Anagieren gegen ihn vertieft die Schuld eher als sie sie aufhebt. Krachtfiguren sind von vorn herein Verdammte aus genau diesem Grund.

Das alles ist wahr in einem Große-Literatur-Sinn: Der Durst nach Vernichtung in einem in batailleschen Begriffen korrekt beschriebenen Universum ist so universell wie der Ekel vor der Akkumulation und der prometheische Stolz der Verschwendung.

Ironischerweise hat uns das alles nicht interessiert. Bestenfalls sind wir von Kracht im Lauf der Jahre auf diese Spur gebracht worden — aber zu Bataille führen zu viele Spuren, um ihn zu verpassen. Ironischerweise war Faserland libidinös erfolgreich genau als ein Buch für uns Kleinbürger, die vom Reichtum träumen: wie Proust eine Mogelpackung, vordergründig mit Erinnerung und der menschlichen Erfahrung an sich befasst, in Wirklichkeit eine Chance für den Snob, sich was abzuschauen und sich hineinzubegehren in eine verschwenderische Elite.

Eurotrash liefert keinen fan service: Das ist gut. Im Gegenteil scheint das Buch einen redlichen Versuch zu machen, uns noch einmal auszubuchstabieren: Was ihr so attraktiv fandet an der Faserlandwelt war, vielleicht, Jugend? Das Milieu kann es doch nicht gewesen sein!

Aber natürlich war es das Milieu. Von der Schuld hatten sie uns viel beigebracht, an den Gymnasien der 90er. Vom Reichtum hatte uns niemand was verraten. Nichts. Dabei musste er irgendwo sein, fabelhaft reich wie Deutschland ist — uns war gesagt worden, die Fernseher und Videorekorder unserer Eltern seien dieser Reichtum (weil: Afrika!), ein Audi 100 sei der Reichtum. Faserland hat diese bundesrepublikanische Reichtums-Omertà zerstört, diese im Nachhinein schon enorm unplausible Geschichte von den Fernsehern und Videorekordern und afrikanischen Kindern entlarvt. Nein, er ist, durchaus, ein Milieu.

Der Nazischmutz ist dabei ein erstklassiger Klassenmarker: Mein Großvater war Essenholer und Kabelzieher in den Gräben der Ostfront, offenbar ein Flinker. Zu einem Totenkopfanstecker oder gar einem richtigen Kriegsverbrechen hätte es so einer nicht gebracht. Diejenigen von uns, die Großväter bei der SS hatten, lassen’s wissen heutzutage: Elite ist Elite. Wir andern sind heimlich ein bisschen neidisch.

Die Schweiz bleibt das Andere zu diesem Deutschland, in dem über Reichtum nicht gesprochen wird. In der Schweiz ist der deutsche Reichtum lange aufgehoben worden, in der Schweiz ist der eigene Reichtum kein Problem. Man schaut ja, als Schweizer, mit elterlicher Sorge über den Bodensee: Schafft Deutschland es irgendwann, sich dauerhaft nicht-charismatisch führen zu lassen, wie eine richtige Republik, und sich wohlzufühlen dabei? Unregiert, also frei unter der Herrschaft des Rechts? Und also das eigentliche Problem zu lösen?

Oder fallen sie doch wieder, die Deutschen, obwohl längst vorbildlich republikanisch verfasst, in die alte würdelose Sehnsucht nach heroischer kollektiv-moralischer Aktion? Und schaffen es die Deutschen, wieder Eliten zu erzeugen, die sich selbst ertragen? Die Bilder besitzen und Musik machen und mit alten jüdischen Damen in New York Tee trinken können und einfach angenehme Leute sein, wie das in der Schweiz und anderswo möglich ist, also ohne das bizarre verdruckste Theater, das sie viele Dekaden nach dem Krieg aufgeführt haben? Reicht die kulturelle Kraft, nachdem die jüdische Intelligenz nun einmal ermordet oder vertrieben ist, eine wirkliche Elite hervorzubringen, aus den Scherbenhäufen der SS- und der Essenholerfamilien und dem enormen Reichtum, der ja da wäre? Oder, so denken sich die Schweizer väterlich und sorgenvoll, ist es jetzt für immer zappelige Barbarei, da im Norden?
Eurotrash, das gar nicht in Europa stattfindet, sondern in der Schweiz, sagt auf seiner Kleine-Literatur/Faserland-2-Ebene: Vermutlich, leider, letzteres.

Link | 5. April 2021, 20 Uhr 43