Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Über den Lärm: Nach einem Dreivierteljahr an der Straße ist das Bild der Stille dieses: Daß man sich, wenn für einen Augenblick eine vollkommene Stille herrschen könnte, die Stille eines schattigen Ausgucks am Waldrand, die Stille eines freien Baumes fern auf einer Hügelkuppe oder die Studiostille in einem dichten Raum mit guten Kopfhörern, wo man nur noch den eigenen Atem und den der verschämt schleifenden Analogtechnik hört — daß man sich in einer solchen Stille in ein Gefäß verwandeln würde; in einen kühlen, tönernen Krug.

Über die Frisur von Christoph Schlingensief: Das Durcheinander auf dem Kopf von Christoph Schlingensief ist nicht nur bewusst eingesetzte Kommunikation, sondern auch die ganz praktische Folge einer charakteristischen Geste der Verwirrung: Sich mit gespreizten Fingern von vorne nach hinten durch die Haare zu fahren ist Ausdruck des wirren Denkens, des Bemühens um Unordnung, als bürste man den Geist von vorn, wo er in sozialen Bestimmungen steckt, nach hinten in die Offenheit des Visuellen.

Über die Funktion des Feldherrn: Die Aufgabe des Feldherrn ist die exakte Auslotung des Raums des Möglichen. Er kann nicht um Aufschub bitten, um sich besser aufzustellen, er kann nicht Schwächen bekämpfen durch sympathisches Eingeständnis. Seine Funktion ist die des maximalen Materialisten. Er ist, was er ist, weil er zu jedem Zeitpunkt seiner Laufbahn das maximal Erreichbare aus dem Gegebenen erzeugt hat: Seine Fähigkeit ist eben nicht die Vorstellung einer idealen Schlacht, sondern die Erkenntnis der realen Möglichkeiten in der tatsächlichen Schlacht. (Zwei Arten der Möglichkeit: Das Denkbare und das Bewirkbare. Der Feldherr ist der Herr des Bewirkbaren.)

Über die Wahrnehmung des Feldherrn: Dazu gehören (1) Die Fähigkeit zum Erkennen von Chancen, also den Punkten, an denen sich der Raum des Bewirkbaren schlagartig verändert. Das erfordert eine Offenheit der Wahrnehmung, also das permanente Vorhandensein mehrerer, gleichberechtigter Deutungen des Geschehens: Zu wissen, was es ist, heißt zu wissen, was es alles sein könnte. (2) Das Bewusstsein der Tatsache, daß meist genau diejenige Option am verlockendsten wirkt, über die man am wenigsten weiß.

Link | 1. Juni 2006, 1 Uhr 40 | Kommentare (1)


Ein Kommentar


Stille-Assoziation immer schon gewesen: Sich selbst so still zu machen, dass man das Tosen der Gedanken vergisst, das laute Rauschen der Gefühle; Zeit so langsam vergeht, dass der Schall des Selbst nicht ankommt, man mit sich, aber ohne alles – eben nackt, geräuschlos bei sich ist, sodass man kleine Wahrheiten wispern hören könnte miteinander.

Und das wäre so groß, so rund, dass es nur kurz wäre, weil das ja nicht auszuhalten ist.

Kommentar by Doloris | 14:50