Vigilien

is there any any? nowhere known some?

„Haben Sie es bei sich?“, fragte er vor der tosenden Geräuschkulisse des nächtlichen Waldes, gerade als ich ihn selbst erkannte. Kleine Steine sprangen links und rechts ins Gras unter meinen mühsam verhaltenen Schritten und es roch nach Pilzen.
Der Revolver in seiner Hand zeichnete sich scharf ab gegen unbestimmtes Blau, als er ihn mit einer zu dramatischen Geste über den Kopf hob, um dann sorgfältig zu zielen. Schnell war mir klar, daß es nur meine Anwesenheit war, die er gewollt hatte.

Könnte man so etwas ernsthaft aufschreiben, ohne sich wie Snoopy zu fühlen? Mut zum Imperfekt und zum Revolver! Schluß mit den Entschuldigungen. Schluß insbesondere auch mit solchem Mist .

Link | 31. Mai 2004, 14 Uhr 36 | Kommentare (1)


„Weisst du“, sagt die Blonde im türkisfarbenen Röckchen, als wir gerade gehen und guckt unter der Stirntolle rauf, „mein ganzes Leben ist ein Kunstwerk, da bleibt nicht viel Zeit für die Kunst.“ — Ich komme nicht mehr dazu, mir den Menschen anzuschauen, zu dem sie das sagt, aber ich vermute, er hat gerade die Frage gestellt: „Und, was machen deine Projekte so?“ Nur langsam gewöhne ich mich an den Gedanken, daß da tatsächlich wenig oder nur sehr unehrliche Ironie stattfand, im Gespräch dieser beiden Mittemenschen.

Zuvor: Viermal hintereinander eine unvollständige Version von „A bout de souffle“ an der Wand, aber ohne Ton, und Theorien darüber, warum Frauen es heut offenbar so viel schwerer haben, mit ihrem Selbstbild ins Reine zu kommen. Guter Ort für sowas. Man möchte da stundenlang hocken, ratlos daherschwatzen und immer die gleichen sinnlosen Bilder sehen, bis man Sumpf ist.

Peinlicherweise kennt keiner den Film, auch wenn ich jetzt schwören könnte, daß der Name Godard fast lauernd in der Luft lag. Man hätte vielleicht konsequenter trinken müssen, ohnehin.

Link | 31. Mai 2004, 3 Uhr 47 | Kommentare (2)


Bei etc.pp ein seltsam beunruhigender Text.

Das ist es eben, bei diesen fotographischen Madeleines: Daß zum Zauber des verlorenen Combray noch der Linsen-Blick eines Menschen kommt: Unheimlich, wenn es nicht der eigene ist. Man ahnt ein Glück darin, furchtbar fern und fremd, und weiß nicht, wie man davor bestehen soll.

Es hilft nicht zu wissen, daß die Vergangenheit selbst nur Alltag war und ihre schreckliche Größe nie bemerkt wurde. Die Macht, mit der sie auftaucht, hinterlässt diffuse Traurigkeit und ein Gefühl des Versagens vor der Zeit, oder eine ebenso unbestimmte Wut auf die eigene Unfähigkeit, den Guten wenigstens hin und wieder diese larger than life-Momente zu verschaffen.

Seit Jahren drücke ich mich darum, fotographiert oder gefilmt zu werden, es ist beinahe lächerlich, mache mich unsichtbar für alle zukünftigen Vergangenheiten, habe Angst vor diesen leicht dahinfotographierten Bildern von Alltag und Ausnahme. Angst vor dem, was ich geworden sein werde, für die Menschen, die mich heute gerne fotographieren möchten. Es ist besser, scheint mir, vergessen zu sein, der Schatten zu sein, der nie im Bild ist und mit Mühe dazuerinnert werden muß, als ein „Ach, damals war er noch…“ zu werden.

Link | 29. Mai 2004, 14 Uhr 16


(Das fängt ja gut an:) auf arte gibt’s heute einen Fetisch-Themenabend, und Fetische sind jedenfalls ein gutes Thema: F wie Fetisch – Vom Zauber der Dinge

Link | 28. Mai 2004, 18 Uhr 49


Eine stolze und strenge Schönheit mit einem vage slawischen Gesicht, die Haare eng am Kopf zusammengebunden, rückte ihr hoch geschlossenes schwarzes Oberteil am Kragen zurecht, ließ sich zwischen uns nieder und wirkte sehr fremd. Wir reagierten auf sie — unterschiedlich, aber alle reagierten wir, und die Scheuesten verrieten doch am meisten Interesse. Der Raum hatte einen Schwerpunkt, sie saß dort allein in der Stille und las.
Schließlich kam einer herein, ein normaler, etwas langweiliger Hipper, den sie kannte; der Mistkerl entzauberte sie ohne Mühe, und ihr schönes Begrüßungslachen war schon wertlos geworden, bevor er sich neben sie gesetzt hatte.

Eine unrasierte Retro-Trainigsjacke: Mehr war nicht nötig, um unsere kollektive Projektion zusammenbrechen zu lassen, die vermutlich nicht einmal falsch war.

Link | 28. Mai 2004, 16 Uhr 33 | Kommentare (1)


… und das ist es, was wir letztlich alle suchen: Einen irrlichternden Abglanz — von Seele.

(Wolf Wondratschek, in einem Gespräch mit Alexander Kluge.*)

Im selben Gespräch hat er Nabokov zitiert und behauptet, daß gegen die Barbarei und die Banalität der Geschichte und des Lebens nur eines helfe: Stil.

Ich weiß nicht, ob dieser Satz noch verständlich ist. Denn wo Stil drauf steht, ist längst Barbarei und Banalität drin. Stilbildend ist eine erstaunliche Propaganda der Stärke, der Pflicht zum großen Selbst. Die Namen der einschlägigen Serien und Drucksachen, der Organe der emotionalen Infantilisierung, muß ich nicht nennen.

Das alles wäre furchtbar uninteressant, wenn es sich nicht so aufdrängen würde, wenn es nicht von überallher einsickerte in Gespräche und Leben, wenn man sich nicht immer selbst ertappen müsste.

Irgendwo in den Lifestylegewittern leuchtet er trotzdem hin und wieder, immer noch: Der Abglanz von Seele. Stil, trotzige Absage ans Ego, Gelassenheit gegen die Konsequenzen. Das große Ding: Das Richtige.

Schwer zu fassen, nie zu halten. Nicht zu erklären, hinter den Dingen und Worten irrlichternd. Man muß einen feinen Sinn trainieren.

mais j’ai eu l’imprudence de lire ce matin quelques feuilles du publiques ; soudain, une indolence, du poids de cinq atmosphères, s’est abattue sur moi, et je me suis arrêté devant l’épouvantable inutilité d’expliquer quoi que ce soit à qui que ce soit. Ceux qui savent me devinent, et pour ceux qui ne peuvent ou ne veulent pas comprendre, j’amoncellerais sans fruit les explications.

(Charles Baudelaire, Préface des Fleurs)

Benannt nach:
Vigilien, Erzählung von Stanislaw Przybyszewski, Berlin 1895

* leider bin ich mir des genauen Wortlauts nicht mehr vollkommen sicher.

Link | 26. Mai 2004, 20 Uhr 22