Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Nicht besser zu erfinden wäre eine Entwicklung gewesen, die nach zwanzig Jahren Kulturtheorie zum Thema „Fernsehen und die verderblichen Effekte der Passivität“ das Fernsehen durch ein Medium ersetzt, das ständige Aktivität aller verlangt, um zu funktionieren, und in dem sich eben keine Vielzahl von klassisch abgegrenzten und miteinander interagierenden Subjekt-Produzenten etabliert, sondern vielmehr eine Vielzahl von schnellen Prozessierungsknoten, deren Funktion das Berührtwerden von Material ist; Material, das im Falle einer erfolgten Berührung weiterverbreitet wird und so seine planetare Reichweite testet. Während dieses Material aus der Vorzeit als Nebel in die Netze aufsteigt — Bilder und Fragmente, die über die Vorstufe eines Jahrhunderts Film die alten Mythen als Programme in dieser Fleisch-Silizium-Infrastruktur installieren — verliert, was einmal die Wirklichkeit war und von Video abgebildet und als Surrogat zurückverabreicht wurde, endgültig sein Eigenrecht als Affektlieferant: Die Bilder bilden keine Bäume mehr ab, die Bäume in uns aufrufen; die Bäume selbst erhalten ihre Sichtbarkeit erst in ihrer Funktion als prozessiertes Material. Der Baum ist nicht mehr, was er mit mir (einer Lesebiographie) macht bei unserer Konfrontation, sondern was er mit meinem Netzwerk macht, wenn ich es konfrontiere mit seinem Bild: Der Baum ist sein potentiell planetares Echo, in dem die Mythen gespeichert sind (und er kann keine neuen Mythen produzieren); er fließt durch mich als tönernen Kamerahalter und Terminal hindurch, testet seine Beziehung zum Mythos hinter mir, und in der Rückprojektion erkenne ich ihn und mich, das Realitätsereignis findet statt.

[Zone der Ununterscheidbarkeit von Form und Hintergrund]

Link | 22. Februar 2012, 22 Uhr 42


Heute nochmal versucht, Harald Schmidt zu schauen, aber es geht nicht mehr; die Langsamkeit der ganzen Veranstaltung Fernsehen ist unerträglich: Was laberst du, Mann, da für einen Fülltext in die Zeit hinein, warum soll ich warten, bis der Witz abgeliefert ist, kann der nicht direkt kommen? Ohne daß ich warten muß, bis die Sendung sich herausgesendet hat? — sofort zurück zu Büchern, wo der Text Wort für Wort zählt, und wenn der Text nicht zählt, kann das Buch weg und das nächste her.

[Gleichzeitig auch: Die Verödung des sogenannten social web für mich, das ich jetzt nicht mehr nur, wie alle, im Grunde hasse, sondern das wirklich zurücksinkt ins Egalsein hinein. Seine Beliebtheit muß ein Symptom der Arbeitsweltverhältnisse sein, sein nervöses Witzelgeblitz die zaghafte Restichbehauptung des Geistes im Joch. Geht der Druck weg, wirkt die Sache nur noch grotesk.]

Link | 10. Februar 2012, 20 Uhr 17 | Kommentare (1)


Das ist natürlich wahr: Wie man damals, in den Harald-Schmidt-Show-Jahren, immer mit dem Gedanken lebte, daß man reich sein könnte und dann würde alles gewaltig rocken, man würde so in großkarierten Schlafanzügen Billard spielen und dann das Queue wegstellen und um so eine rasend gutaussehende Frau hinten rumfassen, und später im offenen Wagen die Küste lang fahren, und das wäre alles wirklich möglich, wenn man sich nur der allgemeinen Bewegung hin zum Geschmack anschlösse.

Link | 9. Februar 2012, 23 Uhr 09 | Kommentare (1)


Bild: Eine leicht abschüssige, gepflasterte Gasse kühlte meine Unterarme, als ich aufbrach vom Vorplatz jener mittelalterlichen und verschlossenen Kirche, deren Namen mir leider entfallen ist. Schon von fern wehte mich Curry an, Curry und Zypressen und Salz.

* * *

Gegenbild: Ich trat an die Brüstung und griff, behandschuht, mit beiden Händen den Holm. Die Brandung lief an gegen den menschenleeren Strand, aus dem Nebel heraus hoben und senkten sich die Wellen zweimal, ehe sie zusammenbrachen. Einer der Vorhänge in der Front des Miramar bewegte sich. Ich ließ das kalte Metall los, tastete in der Tasche nach meinem Telefon, und wandte mich nach rechts, um irgendwo einen Tee zu bekommen, selbst wenn ich dafür durch eine Tür gehen müsste, über der „Luzifer“ stünde.

Link | 5. Februar 2012, 16 Uhr 39


Manchmal der Verdacht: Daß das Leben, wie es nun einmal ist, genau jetzt, also in diesen Jahren, vor allem doch davon bestimmt ist, wie fragil das Haus wirkt, daß es bebt und sich schüttelt, wenn die Straßenbahn kommt, wie immerzu Gipsbrocken aus der Wand hinter dem Heizkörper aufs Parkett fallen — wo kommen die immer noch her, wieviel Wand kann da übrig sein? — wie der Staubsauger der Nachbarn alle Wände erschüttert, wie ein paar Schritte die Dielen in Schwingung versetzen und die Stehlampen biegen: Auf einem solcherart aufgehängten Boden, kann da das Leben anders als äußerst vorsichtig sein?

Link | 5. Februar 2012, 16 Uhr 08