Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Sie suchte einen Raum am Ende des Ganges, in dessen leicht muffigem Halbdunkel ich am Boden saß und las. Ich sah sie, erhob mich, log, und begleitete sie. Zwei Stunden später gestand ich, alles weitere war eine Frage der Vorsicht.

(Unsicher senkte sie den Kopf, als sie mich ansprach, und ihre Haare formten eine saubere, weiche, mattglänzende Stufe über ihren Schultern.)

Sie lächelte, wenn ich sie bat, mich abends auf der Brücke zur Museumsinsel zu treffen, und schüttelte den Kopf. Sie lächelte, schüttelte den Kopf und kam trotzdem, so machten wir es immer, seit es beim ersten mal funktioniert hatte.

(Am dritten Abend griff ich ihre Schulter, die leicht war; ich dachte an Lampionpapier und ihre Lippen, sie sah weg und hielt zwei Finger meiner Hand.)

Am sechsten Abend kam sie nicht, ich rief sie an (so einfach), sie nannte eine Adresse (so einfach), und ich besuchte sie. Ihr Arsch, den ich nur als definierte Kontur unter weit fallenden Hosen gekannt hatte (eine inzwischen unwahrscheinliche Tatsache), sah immer noch gut aus, als ich aus dem Bad zurückkam. Sie strahlte mich an zwischen zwei dunklen dünnen Strähnen hervor. Ihr Instrument, dunkel in seiner Ecke, bemerkte ich nicht.

(Ich weiß nicht, wann mir wirklich klar wurde, wie wenig sie sprach, wie ungelenk sie sich bewegte und wie jung sie war. Sie schrieb mir, auf Papier, Briefe von flammendroter Deutlichkeit. Ich las sie in der Straßenbahn auf dem Weg zu ihr, voller Verachtung für die traurigen Gestalten um mich und ihre sinnlosen, armselig Fahrten. Wenn ich die Augen schloss, sah ich den weichen Pullover, den sie trüge, und die Bewegung darunter, und ihren Blick, mit dem sie mich aufforderte, ihn loszuwerden, und den Moment der Umständlichkeit, wenn sie sorgfältig Ihre Haare durch die Öffnung zog, und ich erschrak, jedesmal erschrak darüber, wie schmal ihr Rücken war, und ich erschrak wieder, weil ihre Finger schmal und warm und schnell und schon bei mir waren, bevor ich Zeit gehabt hatte für ihre ironische Brust, an der mich satt zu sehen oder fassen mir nicht gelang.)

Halbdunkle Winternachmittage in meiner kalten Gartenhauswohnung folgten: Eine unruhig drängende, junge Vögelei; danach lagen wir lange durcheinander ohne viel Bewegung, um der Kälte keinen Einlass unter die Decken anzubieten. Später gingen wir essen; manchmal kehrten wir die Reihenfolge um und verbrachten aufgekratzte Nachmittage in absurden Spezial-Museen: Aufenthalte, die einzig der Verschleppung dienten.

Wir waren drei Jahre zusammen, zwei davon im Grunde unglücklich, aber ohne jede Chance, voneinander loszukommen. Der Grund dafür war eine zufällige sexuelle Gewohnheit, auf die wir nicht verzichten wollten.

Wenn sie spielte, blieb nichts vom Ungeschick, mit dem sie sich bewegte, nichts erinnerte daran, daß ihre Arme so fahrig und lang wirkten, wenn man sie an einem Geländer lehnen sah. Wenn sie spielte, bewegte sie sich und den Bogen mit einer Präzision, die mich — den leicht unordentlichen, düsteren, kleinbürgerlichen Möchtegernpoeten ohne jede musikalische Ausbildung — in einer Ehrfurcht zurückließ, die sie verachtete. Lange duldete sie nicht, daß ich ihr zusah beim Üben, es dauerte Wochen, bis sie meine Bitten erhörte und überhaupt spielte in meiner Anwesenheit.

Bis heute bin ich nicht sicher, ob ich sie dann überraschte oder ob es ein Vertrauensbeweis war. Ich betrat ihr Zimmer, jedenfalls außer der Regel und auf Zehenspitzen, denn sie spielte. Sie trug schwarze Wollsocken, einen Slip und eine Flut glatten Haares über dem Rücken. Sie schaute auf, sah mich, tat nichts weiter und spielte. Ich stand neben ihr und wagte keine Bewegung, sah die zitternden Lider und ihre Arme, die Präzision übten, minutenlang, dann rückte sie, ohne sich zu unterbrechen, langsam und präzise, nach vorn auf die Stuhlkante. Sehr langsam setzte ich mich hinter sie, und sie kam zurück, klemmte mich und meinen pulsenden Schwanz zwischen sich und die Lehne, lehnte sich, warm, gegen mich und unterbrach sich nicht. Ich legte ihren Hals frei, der lang war und weiß ohne ihr Haar, und küsste sie. Sie öffnete die Lippen und atmete zitternd aus, hielt inne und spielte über eine schnelle, tückische, zu weiten Bewegungen zwingende Stelle hinweg. Sie fassend mit meiner Linken auf ihrer Hüfte, griff ich mit der Rechten vorsichtig herum um sie, als ich glaubte, es wagen zu dürfen, und jede Sekunde rechnete ich mit ihrer Wut, aber ich fand auf dem Stoff die Hitze, die ich suchte, und darin die Feuchtigkeit.

Nichts, nichts was ich später erlebt habe ist vergleichbar mit dem Kampf, den sie daraufhin austrug, mit sich, gegen sich, mich und die Musik, ihrem eingezwängten, gefesselten, wütenden Atem, ihrer doppelten Konzentration, ihrer keuchenden Tapferkeit und dem Geräusch, mit dem sie ihren Kampf verlor und sich zurückwarf gegen mich, die Beine mit Kraft in den Boden gestemmt gegen mich, Lippen weit geöffnet und ein langes, grimmiges Wimmern mir schenkend.

(Ich habe kaum Vokabular, um den Einfluß zu beschreiben, den ihre Musikauswahl auf den Verlauf unserer folgenden Abende hatte, und so schweige ich.)

Link | 6. Januar 2008, 5 Uhr 31 | Kommentare (2)


2 Comments


Ha, Cellistinnen und ihre offenbare erotische Anziehungskraft!
Strange.

Kommentar by Sonntagsblogger | 9:01




völlig hinüber wünschte ich spielen zu können.

Kommentar by rachel | 21:05