Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Nehmen Sie an, Sie möchten nachdenken und zu einem Ergebnis kommen, möglicherweise, um zu handeln. Wie gehen Sie vor? Zunächst sammeln Sie alle relevanten Fakten. Wenn Sie damit fertig sind, denken Sie über mögliche weitere Fakten nach, die Sie interessieren, und leiten diese, oder ihre Unableitbarkeit, aus den gesammelten Fakten ab. Sie handeln, Ihren Ergebnissen entsprechend, und scheitern.

Sie haben alles richtig gemacht. Sie waren gründlich und gewissenhaft. Sie haben nachgeprüft. Das Wahre, das zu erkennen Gott Ihnen den Verstand gegeben hat, ist ihnen entwischt, weil Ihr Verstand sich (oh Theodizee!) irren kann, einfach so, grundlos, Blitz aus heiterem Himmel: Irgendwo in ihrem smarten kleinen Plan war IRRTUM am Werk.

IRRTUM ist eine merkwürdige Sache. Nicht im trivialen Fall, dem Moment, in dem Sie einfach beim logischen Schließen in der Zeile verrutscht sind. Merkwürdig ist IRRTUM, wo es um die Fakten geht. Sie dachten, etwas sei so und so, dabei war es anders. Daß es anders sein kann setzt, irritierenderweise, voraus, daß es irgendwie ist.

Nun wird Ihnen jeder Philosoph, den Sie auf der Straße auflesen, etwas von der notwendigen Unvollständigkeit des Wissens erzählen und, je nach Veranlagung, von der Fähigkeit der Naturwissenschaft, das Netz des Wissens um das Wahre herum immer enger zu ziehen und den Körper der Wahrheit immer konturierter zu umschließen, oder von der Kontingenz der Wahrnehmung, also der Nicht-Notwendigkeit des Satzes an Fakten, von dem Sie ausgegangen sind — sie wussten nie, was die relevanten Fakten waren, Sie haben möglicherweise die wichtigsten ausgelassen, und schlimmer: Was immer Sie für ein Faktum halten konnten, war von einer Korona verwandter, aber leicht verschiedener Fakten umgeben, die Sie nie gesehen haben. Dabei kann gerade der Unterschied in einer Kleinigkeit hernach bewirken, daß sie sich insgesamt irren. Traurig.

Lassen Sie sich, jedoch, nicht irre machen. Beide diese Schulen gehen davon aus, daß es in Wirklichkeit so und so sei — und nur Ihre Wahrnehmung behindert ist durch eine noch nicht zu ihrem Abschluß im Unendlichen gekommene Wissenschaft, oder durch Ihre zufällige kognitive Geschichte. Beide Haltungen irren. IRRTUM ist kein Verhältnis zwischen Ihren Annahmen und der Welt — IRRTUM ist das jähe Umschlagen der einen Wahrheit: Ein Fragment der Funktion des Gedächtnisses.

Zweifellos irren Sie sich nicht, während Sie glauben, die Herdplatte sei kalt. Die Auffassung, daß Sie wissen könnten, daß Sie heiß ist, es aber nicht wissen, ist nicht konsistent: Woher sollten Sie wissen, daß Sie heiß ist? Sie können genau das wissen, was Sie wissen. Wenn Sie die Platte anfassen, verändert sich, was Sie wissen. Wenn es nur Sie und die Herdplatte gibt und keinen besserwisserischen Dämon, der Sie beobachtet und immer weiß, wie alles wirklich ist, ist IRRTUM kein Zustand (ein Zustand wovon?), sondern manifestiert sich als Diskrepanz im Augenblick der Veränderung.

IRRTUM ist, wenn, was Sie denken, sich als falsch erweist. Nicht, weil es immer falsch war. Sondern weil es immer falsch ist. IRRTUM treibt Sie durch die Wahrheit. IRRTUM hindert Sie nicht daran, ein falsches Argument als solches zu entlarven, IRRTUM zwingt sie aber, ein falsches vorzubringen. IRRTUM ist, wenn Sie aufwachen. IRRTUM bedeutet, daß Sie alles falsch machen. Unweigerlich, unerbittlich, ihre Bemühungen verhöhnend. IRRTUM ist Ihre Möglichkeit, das Gegenteil zu glauben.

IRRTUM ist, was Sie anfasst.

Link | 9. Dezember 2008, 23 Uhr 59 | Kommentare (3)


3 Comments


Es ist doch noch gar nicht die längste Nacht?

Kommentar by E. | 1:02




Sag‘ ich doch immer: Hypothetischer Realismus ist Unsinn!

Kommentar by froschfilm | 16:40




Irrtum ist die einzige Möglichkeit, jemanden zum Nachdenken zu bringen, der die alleinige Wahrheit zu besitzen vorgibt. Möglicherweise ist aber auch das ein Irrtum.

Kommentar by 8mt | 23:23