Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Vor Tagen rauschte ein besonders verächtliches Aussprachetimbre beim Ausdruck „deine Geschäftsfreunde“ über mich wie eine kalte Dusche. Nun habe ich selbstverständlich keine Geschäftsfreunde, nur angedeutet hatte ich in letzter Zeit, daß es eine Zeit geben könnte, in der ich mich mit dem Erwirtschaften von richtigem Geld beschäftigen würde. Der so verächtlich ausgesprochene Satz bezog sich also nur auf einen möglichen zukünftigen Zustand.

Die Vorstellung, so etwas wie Geschäftsfreunde zu haben, ist ja wirklich befremdlich. Ich kann mir zwar vorstellen, die Arbeit, um die es da ging, zu machen; ich glaube, ich hätte Spaß. Aber die sozialen und lebensweltlichen Konsequenzen wären wohl wirklich drastischer als jetzt vorstellbar und das Wort „Geschäftsfreund“ könnte einen begrifflichen Inhalt bekommen.

Dabei würde sich nicht unbedingt viel ändern, aber es würde etwas sehr unfreundliches zementiert: Das Primat der professionellen Beziehungen. Schon jetzt verbringe ich etwa gleich viel Zeit mit Menschen, die ich mir nicht ausgesucht habe wie mit solchen, deren Gegenwart ich suche – sogar in der Summe. Im Moment habe ich Glück: Die Kollegen sind feine Kerle, überwiegend hoch geschätzt, manche lange bekannt. Das wird in einer professionellen Zukunft nicht unbedingt so bleiben. Eher nicht.

Die Gretelfrage dann: Warum machen wir das denn eigentlich alles? erlaubt ja immer eine schnelle Folge negativer Bestimmungen: Nicht für das Geld, nicht für Statusgegenstände, nicht für die Gemeinschaft, nicht für die Pflicht. Was bleibt also zu wollen? — Mit guten Menschen in die großen Reaktoren zu steigen: Kultur und Grünzeug.

Das Leben zu leben, das man selbst wählt, ist nicht deswegen schwer, weil finstere Mächte hinderlich-heimtückisch tätig wären oder weil nichts ginge, sondern weil es so viele bequeme Möglichkeiten gibt, eine Drohne zu werden — möglicherweise eine Edeldrohne mit gutem Anzug und grauen Schläfen (und Geschäftsfreunden). Die Alternativen dagegen verstecken sich: Wo sind die Wege in eine Welt aus Menschen, die Zeit für sich und andere haben, ohne Angst an ihren eigenen Vorhaben arbeiten und sich mehr Gedanken über Schrecken und Versprechen von Nähe, über Möglichkeiten des Menschlichen machen als über die Erfordernisse der allgegenwärtigen professionellen Angst?

Diese Intensität, die erzeugt wird von unergründeten Menschen (was ja viel seichtes Volk schon ausschließt), scheint aus dem kulturellen Fokus fast verschwunden zu sein. Man verhandelt statt dessen Lohnarbeit oder ihr Fehlen, Normdruck, Abgrenzungsspiele, Sentimentalitäten (RAF und Spreewaldgurke) und die angeblich großen Themen in ziemlich kleinen Töpfen (’s verlieben sich halt welche, aber die sind so seicht, daß das dann auch schon alles ist.) — Teufel. Wen interessiert das alles?

(Ein Mann und eine Frau fahren an einem Sommerabend eine Straße entlang. Draußen Hügel und ab und zu ein Straßenschild. Süddeutschland, Frankreich. Das reicht doch.
[Das Bedürfnis, einen vierstündigen Film zu machen über einen Mann und eine Frau, die an einem Sommerabend eine Straße lang fahren. Kein Kind wird überfahren und einen Mord gibt es auch nicht. Dafür haben die beiden je eine Geschichte, die genügt, um den anderen in den Wahnsinn zu verletzen. Auf diesem Grat sind sie unterwegs. Verletzlich, grausam, ohne ihre Verstrickung im Griff zu haben. Nie ist klar, wer stärker und wer schwächer ist. Gerade; und überhaupt.])

Keep it complex, stupid.
Geschäftsfreunde.

Link | 8. Juni 2005, 1 Uhr 38