Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Wie das so zu sein pflegt bei nächtlichen Mädchen in der S-Bahn, sah ich sie schon für einen Sekundenbruchteil durch’s Fenster, während der Zug noch rollte. Also betrat ich den Wagen bereits mit leise flirrenden Nerven: Obacht! Wunderbares Gesicht. Sie saß da mit zwei Jungs, mit denen sie unterwegs war, erkennbar nur unterwegs. J., mit der ich unterwegs war, erkennbar nur unterwegs, lehnte ihr Fahrrad gegen die Tür und redete mit mir.
Das Mädchen war, ich würde sagen: Vielleicht zwei, drei Jahre jünger als ich, also sehr jung. Zerbrechlich wirkte sie, trug Unspektakuläres, angefressene Leinenschuhe und das rennende Rad der Wegelagerer und der Volksbühne. Als der Zug anruckte, sah sie her. Wir ließen den Part mit dem Sich-beim-Hinschaun-erwischen aus und sahen uns an, umstandslos, unverhohlen und lange.

Das Beste an Mädchengesichtern ist ja, da bin ich heute überzeugt, das Leuchten. Manche leuchten wie durch einen karbolfarbenen zottligen Schirm, manche matt und gedämpft wie Röhren hinter gestrahltem Glas. Es gibt opulente Kronleuchtermädchen und kleine flackernde Kerzlein. Meine Favoriten sind – normalerweise – die eleganten, etwas altmodischen Standleuchten, mit vornehmem, zurückhaltendem, aber nachdrücklich warmem Glühen. Sie hier war eine nackte, klare 100-Watt-Birne am Kabel, in einem Flur mit zerfetzten Tapeten.

Irgendwann blendete mein Hirn dann den Rest der Sinnesdaten doch wieder ein, und ich merkte, daß J. möglicherweise mit mir sprach und das langsam ein wenig einseitig fand. Ich zwang mir einen Brocken Aufmerksamkeit ab und antwortete.

Das Mädchen hörte einem ihrer Begleiter zu und kaute danach auf dem Wort „Etepetete“ herum und noch zwei ähnlichen Worten, die sie fremdartig aussprach, als kenne sie sie nicht, gleich mehrfach; Diese Betonung, dachte ich: Vielleicht Holland? Dann folgten zwei Sätze in makellosem Englisch, dann, überraschenderweise, zwei in perfektem Deutsch. Ich wurde nicht klug aus all dem.
Wir sahen uns noch einmal lange irritiert an, unterbrochen nur durch meine Versuche, nach rechts ab und zu meinem Gespräch zu folgen. Schließlich sah sie weg, lehnte sich zurück, legte den Kopf zurück an die Scheibe und sagte laut, artikuliert und versonnen ins Rumpeln des Zuges hinein: „Hard to be a girl, so nice to be a boy.“
Als sie und ihre Begleiterscheinungen ausstiegen, ließ sie ihren Schirm liegen. Ich machte nichts, und es war dann J., die den Schirm aufhob und aus dem Zug reichte.

Link | 22. Juni 2004, 16 Uhr 13 | Kommentare (1)


Ein Kommentar


„Hard to be a girl, so nice to be a boy.“ – Mädchen, die Adam Green kennen, sind schon mal nicht unsympathisch. Volksbühnen-Räder lassen mich allerdings wieder ein wenig erschaudern.

In meinen Tagen zwischen den (Beziehungs-)Tagen hatte ich in Berlin die eine oder andere unwirklich U-Bahn-Begegnung mit erstaunlich hübschen Verwirrten, die in den paar Sekunden zwischen Halt, Türöffnen und Warngehube auf dem Bahnsteig oderin der Bahn kurz irrlichterten, um dann wieder anonym zu verblassen.

Am schönsten der Moment, an dem sich die U-Bahn-Tür öffnet, man aussteigt und sich spontan, unbefangen und ohne Kommentar anlächelt. Dabei ein kurzer Blick in die Augen und: aus. Das funktionierte in dieser Reinheit, zumindest bei mir, nur in Berlin. Vielleicht liegt das daran, dass in keiner anderen deutschen Großstadt so viele zugezogene Menschen herumgeistern, die irgendetwas suchen.

Kommentar by SUB | 11:23