Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Ich verbringe den Abend in dem eingeschneiten süddeutschen Dorf, in dem auch mein akut von, Gott sei bei uns, Fahrverboten bedrohtes italienisches Turbodieselfahrzeug überwintert. Still nippt es am 230V-Netz zur Schonung seiner koreanischen Ersatzbatterie, die es bei einem Schwächeanfall auf dem Weg in die hügeligen Weiten des Schwalm-Eder-Kreises vor einigen Jahren verpasst bekommen hat (ein würdeloser Moment).

Weil ich für waahr.de, das ja auf diesem Server, der mit bürgerlichem Namen freeside.tessierashpool.net heißt, gehostet ist, ein Softwareupdate machen musste, blieb ich, wie jedesmal, an waahr-Texten hängen und fiel wieder hinein in den Berlin-Münchener Kosmos der Zehn Jahre Älteren: Texte aus dem Freund, aus der De:Bug, Texte über das Deutschland vor Harald Schmidt oder Dokumente der Schmidt-Transformation selbst.

Eine ästhetische Erziehung, das Vertrautwerden mit den Dingen und mit ihrer Wirkung auf die Seele, ist immer auch Arbeit an der Beziehung zu Geld im Modus der Uneigentlichkeit (wenn sein eigentliches Wesen, nach Simmel, die Knappheit ist). Mesopotamia, Ferien für immer: wie überleben im Überfluß, hineingeboren in eine Zone der Tüchtigkeit, möglicherweise selbst tüchtig, möglicherweise begabt: Wie vermeidet man den Horror von Sylt der Zehn Jahre Älteren? Wie erntet man die Seelenfrüchte der Dinge, aber behutsam genug, um nicht zerstört zu werden dabei?

Die wirklich Antwort hat natürlich mit Melancholie und Humor zu tun, mit der Leopardenbadehose von Dendemanns Dad und Handkes pilzschwarzen Händen, aber so richtig geben kann man sie nicht.

Eine Annäherung, in einem circa kontinentgroßen Experiment in dieser Frage: Hangzhou. Ich saß dort vor einigen Monaten in einem nach kaltem Wasser und Schaumstoff riechenden Bus, zusammen mit Unternehmern aus Kalifornien, Boston, Argentinien, der Ukraine und China, manche von ihnen am Telefon mit offenbar komplizierten Fragen der Fahrradfertigung oder am Computer mit Anforderungen für ein Softwareteam in Osteuropa befasst; ich selbst, um einen leeren Blick hinaus in die Stadt bemüht, ergriff die Chance meiner Erschöpfung, das kompetente Schwatzen zu unterlassen für eine Weile.

Wir wurden an den Westsee gefahren, spätabends noch, damit wir wenigstens diesen nicht verpassen sollten, nicht die drei Schalen, die den Mond spiegeln. Wir passierten die hell in die Nacht strahlenden Showrooms von Tesla und Porsche, Ferrari und Lamborghini: Der das Sylt der 80er sicherlich in den Schatten stellende Statusmaterialismus des eilig aufschließenden China. Und dann das gefasste Ufer des Sees selbst, alle Kanten mit LED-Streifen zufestoniert, aber doch unzerstörbar in seiner Würde: als vertrockne die Geldbrandung am Westseeufer sofort.
Die Stadt versteht vielleicht, in dieser und noch zwei folgenden Dekaden, nicht, was der Westsee soll, gibt aber doch acht auf ihn. Und er wird da sein, wenn die Söhne der Lamborghini-Käufer das Prinzip der Souveränität entdecken werden, sich gegen die Sonne wenden, und zu verschwenden lernen.

Link | 3. März 2018, 20 Uhr 42