Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Das wilde Leben, das (auch als geistig wildes Leben) nurmehr in der Literatur alter Männer zu existieren scheint. Leute, die an Joyce herangeführt wurden und zitterten vor Aufregung und dann ihr Leben lebten zwischen Regalen und Frauen und vielleicht Basilikum, IT jedenfalls kam nicht vor.

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Das gleißende Licht jetzt, nachts.

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Der nicht auszurottende Gedanke der Sekundarität von z.B. Popmusik oder Literatur: Daß es sich dabei um Mittel der Reflexion über das Eigentliche handle. Und aus Mangel an Eigentlicherem soll dann das Materielle der Gegenstand sein. Es erscheint mir nicht absurd, mein Leben mit Arbeit zu verbringen, um mich zu erhalten; es erscheint mir absurd, mein Leben mit Lesen zu verbringen oder damit, über Bücher zu sprechen — warum? — Das muß ausgerottet werden, bis in die letzte Faser auch der ökonomischen Existenz: Der Gedanke der Sekundarität des Reflexiven, überhaupt seine Angewiesenheit auf einen eigentlicheren Gegenstand.

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Es ist eben schon genug, vollkommen genug, eine Straße hinunterzugehen. (Weiter passiert nichts.)

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In einer ewigversehrten Stadt zum Beispiel. Zweie stoßen an auf dem Gehsteig, dreckige Hosen haben sie an, die haben gemalert und sind jetzt fertig und stolpern gegeneinander und trinken zusammen noch ein Bier. (Die Menschen treten in Paaren auf, das finde ich natürlich. Man kann ja nicht alleine sein; da kann man sich auch mit jemandem zusammentun, mit dem man gut ficken kann nachts oder wenn es einem eben gerade einfällt, ich meine: Das ist doch wohl richtig so.)

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Manche sind dazu noch sentimental, ich auch, das finde ich auch in Ordnung.

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Die zwei im Döner unterhalten sich über Einzelheiten von Hartz IV. Zwei Zauseln m/w, die trinken einen Schnapps beide. Ein-Euro-Job sagen sie auch. Der Dönermann hat den Versuch, anatolische Musik zu spielen, längst aufgegeben, seine Kundschaft trinkt Jägermeister und mag alte Schlager. Sozialromantik liegt mir nicht, deswegen bin ich nicht hier, ich esse einfach einen Döner, aber heute fällt der Dönermann aus der Rolle mit einem schnellen Blick und einem Grinsen. Er entschuldigt sich bei mir für seine mir wohlbekannte Stammkundschaft. Ich weiß, daß du hier nicht hergehörst, sagt er mir mit dem Grinsen, und mir fällt zum ersten mal auf, daß er mich da besser kennt als ich selbst; natürlich habe ich nichts bei den Hartzvierern verloren. Wenn der Dönermann mich verpfeift, hassen mich alle, hoffentlich hält er dicht.

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Ich denke über Herrn Hartz nach. Scheiß Name, inzwischen, damit muß man auch leben können.

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Ich mag Herrn Gauck. Aber mit Herrn Gauck würde ich nie diskutieren wollen, weil ich dazu nicht in der Lage wäre. Er kennt sich aus, spricht immer besonnen und hat Recht, also wirklich und ehrlich Recht, vermute ich. Man muß dann sehr aufpassen, was man behauptet, was ich meist nicht tue. Wenn man nicht weiß, was man gerade redet, steht man blöd da und kann nicht mogeln wie bei den meisten Leuten. So etwas ist großartig, aber eben der Stabilisierung von Lebenslügen abträglich. (Wenn man zum Beispiel die Lage schlechtreden will.)

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Führt die FAZ wirklich täglich den Kampf der Reichen gegen die Armen?

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Welchen Kampf führt eigentlich die B|LD?

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Wer darf von wem noch mit Recht Loyalität fordern?
(Außerhalb der Parteien, meine ich.)
Arbeitgeber von Arbeitnehmern? Andersherum?

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Ob ich mich schämen sollte? Jetzt schon? Für die Stundensätze und mein Geschick? Der Gedanke an Wohlstand ist noch fremd im Moment, es geht im Moment noch um eine Ersatzfestplatte und Bücher, die ich mir nicht leiste seit Monaten; aber ich kenne Typen wie mich, Wohlstand ist eine Möglichkeit, läßt er sich verhindern, muß man ihn verhindern?

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Wenn es um Selbstbestimmung geht und nicht um Geld — wie ist der Umrechungskurs? Nicht linear jedenfalls. Man müsste die Kurve aufmalen und sehen, wo die Hand zögert.

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SZ: In Oxford müssen die Bewerber unorthodoxe Fragen beantworten, weil es so viele gute Studenten gibt. Es sind Denksport- und Rechenaufgaben, wie man sie aus dem recruiting kennt. Philosophen müssen die Frage beantworten, ob sie „cool“ sind. Ich habe sofort eine sorgfältige Antwort im Kopf mit allem drum und dran, begrifflich gründlich, ein wenig Herzblut, Aussagen von klugen Mädchen, die sich zum Thema mal geäußert haben, sogar Poschardt könnte ich noch ins Feld führen, mann, wäre ich gerüstet, die würde mich ja wohl nehmen. Aber halt. Studium liegt hinter dir. Und überhaupt, was ist das für eine beschissene Eitelkeit schon wieder. Welche Rolle spielt es bitte, ob sie dich in Oxford nehmen würden, warum zum Teufel beschäftigt dich so eine Frage. Affe, wem soll hier eigentlich was bewiesen werden? Wie unsicher kann man immer noch sein? Geht es darum?

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Wenn es um Selbstbestimmung geht und nicht um Geld oder Eitelkeit: Wäre es gut oder schlecht, in Oxford studiert zu haben?

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Eine stolpert im Straßenbahngleis und ist schwer bepackt. Kleines Mädchen. Hat vielleicht Angst davor, darauf reagieren zu müssen, daß ich ihr meine Hilfe antrage, also sehe ich weg. Die zieht nach Berlin, das ist ihr erster Abend. Das ist die Stadt der Versehrten. (In einer Stadt der Versehrten ist Erfolg eine Nichtkategorie, das macht sie aus.)

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Wenn es um Selbstbestimmung geht und nicht um Geld, und man geht eine Straße entlang mit im Neonschein schmerzenden Augen und es ist schon genug, wie gelassen darf man sein? Darf man sich für alles interessieren, mal sehen was kommt? Darf man lasch sein? Darf man aggressiv sein, andererseits, und warum?

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(choose life, choose a fucking big television)

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[heute weiß ich einmal nicht]

Link | 16. Oktober 2006, 0 Uhr 27