Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Die Woche vor Ostern.

Technische Möglichkeit und begeisterte Dummheit zur Zeit, wie immer, im Dienste der Macht: Die Lüge von der Äquivalenz des Virtuellen. Daß es eine reaktionäre Verweigerungshaltung der Ewiggestrigen sei, nicht daran zu glauben: Das Wagnis virtuell zu machen und erst die Familie real, weil Nachwuchs virtuell halt nicht zu zeugen ist und jemand ja die Einfamilienhäuser bauen muß.

Gestern „Sophiiiie!“ gesehen, vorgestern „Kammerflimmern“: junge deutsche Filmschwangerschaft. Geschichten von der Sehnsucht nach Intensität bei denen, die junge deutsche Filme machen und denen, für die sie gemacht werden. Die Schwangerschaft als Intensitätsgarant und klar existenzielles Problem, das all die Intensität rechtfertigt und beglaubigt. Eine sanfte gore-Komponente erzählt dazu von den Möglichkeiten der Gefahr, die die Zuschauer in ihren eigenen Leben sorgfältig, im Namen der Vernunft, auszuschließen gelernt haben: Im Film darf auch die jetzt.de-Jugend ohne Helm fahren und bluten und rotzen und ficken (statt Sex zu haben). Und wieder: Dieses idealisierte jung-und-intelligent-Milieu, in dem nicht alles so verdammt unter Kontrolle ist.

Keine schlechten Filme nebenbei, fast ohne Drehbuchsprache und klug mit Musik und manchmal sogar mit Bildern.

Was ist was? Die Phänomenologie.

Donnerstag: Erschöpft und unbestimmt traurig unter einer weichen Ruheglocke kaufte ich, spät noch, zwei Flaschen Volvic, auf die ich mich konzentrieren musste, damit sie mir nicht aus den schwachen trockenwarmen Händen glitten, noch bevor ich sie, abwesend, bezahlt hätte –

Und wie ich es immer noch vermeide, die Theke des Bäckers anzusehen, wo ich dreimal in der Woche vorbeigehe und wo ich in der ganzen Zeit nur ein einziges mal etwas gekauft habe, nicht für mich: In den albernen artifiziellen Raum einer Supermarktbäckerei-Theke eingeschriebene Spuren des persönlichen Scheiterns.

Wenn die REWE umbaut, sind sie weg. (Der Kapitalismus ist eine Geschichtenvernichtungsmaschine, dagegen schreiben sie an, die Antimodernen, die heimlichem Humanisten, auch die Liebhaber der Dinge.)

Die Helligkeit andererseits, die Ausleuchtung, die Schönheit der analytischen Vernunft; wieviel Finsternis ihren Schrecken verlieren kann, wie wenig Haß nötig ist.

Der Klang von Haut auf Haut aus der Nachbarwohnung: „Pornogeräusch“.

Bedenklich immer: Das schleichende Expertentum der einstigen Avantgarde.

Was mache ich noch in dieser Stadt? Hier scheint nichts mehr zu holen außer Arrivierung, und dabei ist schon aus anderen Gründen jeder Schritt ein Verrat. Schon wieder wird es Sommer, noch ein Sommer, der zugebracht werden wird mit Dingen, die mir gleichgültig sind, weil man ja etwas tun muß, um zu ertragen, daß man nicht tun kann, was getan werden müsste. (Nachtrag: Vielleicht sollte ich ja doch nach Kreuzberg ziehen beim anstehenden Ortswechsel.)

Eine Beschreibung der Welt in Begriffen des Verrats: Verrat ist, wie die logischen Operatoren NOR und NAND im Formalen, funktional vollständig: Er beinhaltet gleichzeitig Affirmation und Negation. Und zwar in starker Form, also mit besonderer begrifflicher Spannweite, ein Verrat ist das Übelste und vernichtet das Wertvollste menschlicher Möglichkeit, und es passiert dauernd, wir sind nur sehr daran gewöhnt und wenig sensibel nach der Geschichte, wie sie nun einmal aussieht, seit wir sie uns merken, und in den Verhältnissen, in denen wir eben leben.

Link | 6. April 2007, 13 Uhr 05