Schon am Vortag in Dresden waren gelegentlich die alten Automobile aufgefallen: Auf den breiteren Straßen, die wir überquerten auf dem Weg in die Neustadt, sah man hin und wieder, mit Desinteresse, einen polierten Mercedes-Benz aus glorreicheren Tagen.

Neustadt ist sehr kunstgewerblich, echt und unecht; echte Menschen leben wirklich von wenig Geld, produzieren aber teure Langeweileware für die trägen Samstagnachmittage der Leute in klassischen Arbeitsverhältnissen und für deren studierende Kinder. Seife, so viel Seife: Seife, duftende Seife, blumenförmige Seife, fischförmige Seife. Seife als Granulat oder herzförmig, sprudelnde Seife, Seifenstifte zum Malen an der Badezimmerwand. In herbes, dunkles Papier gewickelte farblose Seife, tropfenförmige blaue Seife. Ein Seifenmobile. Oben im Regal ein mächtiger Seifenklotz, davor: Seifenscheiben vom Seifenklotz. Ein Seifenaquarium, in dem Blüten aus Seife erstarrt sind, polierte, handliche Stücke davon. Gewaltige Seifenhaufen aus kistengroßen Riesenseifen. Käfer aus Seife. Seifenhalter. Polierte herzförmige Steine, bunte Tücher, Holzspielzeug und winzige Spieluhren, die Yesterday spielen, weswegen ich den Rest des Tages mit Can’t buy me love verbringe und mich mehrfach von lautem Lossingen abhalten muß. Ich kann nicht leugnen, daß ich die Seifen und alles sehr mochte.

Der Sonntagmorgen in Freiberg: Man geht sehr fremd durch diese Stadt, die überraschend schön ist und seltsam leer; das Silicon Valley der frühen Neuzeit forscht immer noch immer leise vor sich hin, man hat sich allerdings darauf eingerichtet, als letzten verbliebenen Gegenstand die Vergangenheit zu erforschen, ein Toter im Spiegel spricht auf hohem Niveau vom Leben; man kann nichts dagegen einwenden außer daß es ein wenig unheimlich ist. Man geht fremd durch Freiberg. Am Untermarkt, zwischen gebürsteten Häusern mit blitzblankroten Dächern unter dem leerem Sonntagshimmel: Eine Schlange aus glänzenden alten Sportwagen tuckert Zentimeter für Zentimeter heran, ein Fahrzeug nach dem anderen fährt vor und parkt, unter den Augen eines kleinen Pulks nicht mehr junger Menschen, rückwärts in einen stählernen Verschlag ein. Der Motor wird abgestellt, seicht klappt los: Applaus. Das Geräusch des Anlassers dann, eine kurze, kräftige Beschleunigung, und der nächste. Auf der anderen Seite des Platzes stehen ein paar Männer in Anzügen auf einer weißen Plane und spielen gefälligen Jazz.

Die Gemeinde ist offenbar wohlhabend. Eine Renoviertheit, die man im Osten nicht erwartet, es sieht aus wie in einem westdeutschen Klein-Bad, das noch immer Kurmillionen der achtziger Jahre verdaut. Wieder erschrecke ich vor dem Geld im Osten. Man rechnet nicht damit, daß in manchen Regionen kluge Kommunalpolitik gemacht wird, nach Jahren in Berlin scheint kluge Kommunalpolitik unwahrscheinlich. Zudem habe ich Reste von Rolf-Hochhuth-Unsinn im Kopf, die Wessis, die Bösewichter, etc. Der Mann irrt ja, wenn er eine Tastatur anfasst; er meint es gut und irrt sich in seiner rührseligen Empörung über die Unmoral der Macht, eine so wirkungslose wie dumme Haltung, weil sie die innere Komplexität der Macht vollkommen ignoriert, Verschränkungsstrukturen von Interessen und Rationalität, in der es nur kleine, die eigentliche Macht konstituierende Ungleichgewichte gibt.

Freiberg ist wohlhabend, sagt man mir, es wurde kluge Politik gemacht, es gibt Halbleiterindustrie und Green-Tech-Mittelstand in der Region. Falls etwas mit der Stadt nicht stimmt, dann hat es viel weniger mit der Lage im Osten zu tun als mit der im Erzgebirge und der Tatsache, daß die lange Bergbaugeschichte Freibergs zu Ende ist. Kein Vergleich aber mit dem Elend in Mecklenburg-Vorpommern oder etwa dem unwirklichen Ort Sangerhausen in Sachsen-Anhalt, den ich vor Jahren besuchte, einer bizarren Leere mit Häusern im ständigen Schlagschatten zweier Schlackehalden, so schwarz und gewaltig wie die Fettaugen auf dem Kaffee, den man am Rande des verlassenen Riesenmarktplatzes bestellen konnte.

Glanz, Elend und Möglichkeit von citizen gonzo:
Strategien der Verschwendung von Mitteln müssten erarbeitet werden
Sie müssten bezahlen und wir versprächen im Gegenzug:
Nichts sinnvolles werden wir beginnen mit unanständigen Geldmengen
Sonderbare Hotels buchen und lauwarmes Bier trinken
Lesen in gleißendhell klimatisierten Hallen
Und in der Sonne leere Koffer über den Asphalt tragen
(Denn selbstverständlich tragen wir unsere Koffer)
Nichts zurückbringend, glosende Sinne und ein paar Sätze für Sie,
Bewohner der gentrifizierten Viertel
Sie wollen es doch auch.


[Freiberg (Sachsen) Untermarkt]