Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Und sie düngten die Gärten mit zerschnitt’nen Orangen
Grell-leuchtend in der Sonne und lagen gebettet
Wie Kürbis in Schlingen und troffen von Saft.

Vor dem Fenster im Parterre wo naß ich alsdann
die Zahnbürste schwang. (Frisch war’s.)

[Ich sage: Damit erledigt sich Orangenpoesie endgültig.]

Link | 28. April 2006, 20 Uhr 35


Was auch noch nicht klar ist: Das richtige Verhältnis zwischen selbstverständlichem Luxuskonsum im Geiste des guten Lebens und selbstverständlichem Luxuskonsum im Geiste des Luxuskonsums. Auch unter den Bedingungen echten Geschmacks (nicht unter denen prätentiösen Geldausgebens also) ist das ungeklärt.

Persönlich bin ich dem Saint Emilion mit einer Art verächtlicher Demut begegnet: Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln, daß es sich um sehr guten Wein handelte, ich hätte wohl auch blind gesagt: Das mag ich. Zugleich aber ist die Rolle, die der Wein im Abend spielt, leicht abstoßend. Der Wein ist Teil eines Arrangements, eines guten Abends. Dazu gehört: Was man isst, was man trinkt, was man raucht, mit wen man redet. Eine Technologie des guten Lebens erzeugt diese Abende. Wie die restliche Staffage ist der Wein perfekt geschmackvoll ausgewählt.

Internationale Regeln verleihen Sicherheit dabei; ein Risiko, den Abend etwa zu verderben, besteht nicht. Diejenigen, die mit einem Blick voll Überlegenheit auf internationales Fast Food schauen, wählen in Berlin in der Oranienburger sicher einen Saint Emilion. Ich, dankbar für den guten Wein, aber auch bekannt dafür, gern in der anrüchigen Salz-und-Fett-Sicherheit eines Cheeseburgers mitleidlos das Hungerproblem zu lösen, verbringe den Abend mit einem Verdacht.

Es muß eine Armut des guten Geschmacks geben. Als ich zu Hause die Webseite der Stadt Saint Emilion aufrufe und tief einsinke in die unscharfen Bilder dort, ahne ich, wie das funktioniert: Es gibt keinen Reichtum ohne ein zuvor lange unerfülltes Versprechen von Reichtum. Der Geist des grand cru ist nicht in einer Flasche, die man in der Oranienburger entkorken kann, er ist in der Sehnsucht nach der uralten Kirche und dem Augenblick im Innenhof, in dem eine vertraute Bewegung im Augenwinkel die Versunkenheit beendet.

[An der Grenze zwischen Kultiviertheit und…?]

Link | 27. April 2006, 14 Uhr 48


… struktion auch der vertrauten Kategorien, Nähe zum Gegenstand, gemeinsam hinein in die Bilder: d’accord. Und alle Sympathien. Nur: it’s just not the case. Wir müssen uns da ja nicht einig werden.

[Aber den Film sehen. Falls Sie in Berlin sind und sich nicht allzusehr vor George Lucas fürchten…?]

[smal: Auf keinen Fall noch einen Eintrag verschwenden. Ihre Datenbank ist weiser als wir. Jetzt ist’s mal gut. Ich nerve Ihre Leser schon genug. Ist ja nicht so, daß ich die normative Gewalt in solchen Sachen nicht auch verabscheuen würde. Leider fürchte ich mich aber vor Geschwätz ebensosehr und habe manchmal das Bedürfnis, drauf zu zeigen, wenn ich eins sehe. Ach, und dann gibt’s immer Krieg, bei dem ich dann aber auch gern den Kürzeren ziehe, ehrlich.]

Link | 25. April 2006, 12 Uhr 28


Ha! Von wegen keine Logos! Das ist die Antwort:
Vuitton-Schweine
!

[Muß aufhören zu kichern, muß aufhören zu kichern]

Link | 22. April 2006, 19 Uhr 38


Der Skandal in einem solchen Leben ist gewissermaßen die Ausnahmenatur der Schönheit.

Link | 22. April 2006, 16 Uhr 31


[Verbrannte Erde hier. Achtung, es folgt eine leichte Verschiebung zur fantasy: Verbrannte Erde, feueratem-glasierte schwarze Hügel, die Alabaster-Festungen geschleift und verkotet, Feuer auf den Türmen, in den Ställen stockt schwarzes Blut und nur Stümpfe ragen; das weite Land klafft auf, Krähen in den Eichen, schwarze Schnäbel, Leckerei. Und Rauchsäulen über den Feldern und schwarze Fliegen klumpen sich im Gras. [Soviel zum Thema: Vom erstaunlichen Dreck, den man in seiner Rübe täglich durch die Straßenbahn trägt.]]

[Wobei. Einfach zu wenig weibliche Gesellschaft. Da kommt man dann schonmal auf so Zeug, das sind wohl Programme, die mit 14 verdrahtet werden, sowas liest man ja nur bis 14, es sei denn man ist retardiert natürlich, das kommt vor, oder man hat irgendwann beschlossen, der Camp-König für heroische Wichtelwaldangelegenheiten zu werden, das gibt es natürlich auch, aber hier nicht, nicht mal ein Holbein ist übrig, wo sind die eigentlich hin, hatte ich die nur geliehen?]

Link | 22. April 2006, 1 Uhr 41


[boah]

… und dann würde ich meinen Koffer hochtragen und erschöpft hinter mir abschließen, zweimal, zweinhalbmal, da wäre dann ein Anschlag, und mich mit kerzengeradem Rücken aufs Bett zirkeln, das einen erschrockenen Quieker täte. Die Lampe über dem Kopfende wäre tot und gäbe nur Staub von sich beim Schaltversuch, aber von der Straßenlaterne draußen käme genug Licht zum Lesen, wenn man die Vorhänge (Geruch: kalt und kohl) offenließe.

Vier, fünf Seiten wären drin, Charlus nach der Sache mit den Verdurins oder so, dann würde ich mich ertappen beim Wiederaufwachen mit dem Gesicht gottseidank auf dem Buch und nicht im Laken, und ich würde aufblicken und das Spülgeräusch hören und alles würde sich drehen, und oben würden sie über den Rand gucken und flöten und Du kannst nichts mehr tuuhuun!, quirl-swish! und dann würde ich mich zusammenreißen und die Zahnbürste auspacken, höchstens noch denken: Saustall, da unterm Rand, aber da sieht ja auch nur die Ente hin und die schweigt und spuckt treu blauen Saft.

Das Waschbecken in der Ecke wäre zu klein für den Wasserdruck, es schlüge mir beinah die Bürste aus der Hand, bevor die Fechterfaust zugriffe. Das Wasser hätte alles eingesaut und mich wieder aufgeweckt (nur kalt, verstünde sich, das wäre nicht das Ritz), bis ich herausgefunden hätte, wie fein man den Hahn einstellen müsste für exakt das mit dem ganzen Haus pfeifende Rinnsal, das das Becken gerade schlucken könnte.

Und dann würde ich rücklings auf dem Bett liegen und in flackernde Dunkelheit schauen und warten und mir denken: Du kannst die Sprache nicht, du kannst 8 Monate nicht weg und du kennst kein Schwein. Fuck, yeah.

[Verflixt, 27 ist zu jung für dirty old man, oder?]

Link | 21. April 2006, 23 Uhr 56 | Kommentare (1)


Sand liegt auf dem Bahnsteig in kleinen, verkraterten Hügeln; es riecht nach niedergewaschenem Staub. Die gußeisernen Wannseebahn-Pfeiler im letzten Lebensjahr scheinen sich ihres Alters zu schämen, als ahnten sie die bevorstehende Vernichtung ihrer hundertjährigen Wirkstätte, die sich hinkauert unter heißen Wolken. Nicht zu ermitteln, ob es mit oder ohne Jacke angenehmer ist; ich denke: Du musst Parmesan kaufen auf dem Rückweg. Ich habe immer Parmesan gekauft auf dem Rückweg, in Charlottenburg, guten, knirschenden Parmesan aus der Salumeria am Stuttgarter Platz.

Link | 21. April 2006, 1 Uhr 36 | Kommentare (2)


[Phoenix-Nachtprogramm zu den Nürnberger Prozessen und dem Umgang mit Recht und Unrecht im Krieg. Überwiegend Interviews aus den 70er Jahren, unkommentiert, seit fast fünf Stunden, von Marcel Ophüls. Fast fünf Stunden reglos gebannt, ausgelaugt jetzt, ausgelaugt und ratlos umgeworfen. Schwer festzumachen, was es ist, vielleicht sogar Neid auf den Umgang mit dem Thema: Die Intelligenz und ruhige Ernsthaftigkeit fast aller Gesprächspartner. Der Schwerpunkt, um den die Interviews kreisen: Daß diese Zivilisation, noch vor 30 Jahren, an die Möglichkeit glaubte, Vernunft über Macht zu setzen und daß der Zynismus eine Sache nur für das banale Monster war, für den faszinierenden Glücksritter, Flieger und Morphinisten auf der Anklagebank, eine Kuriosität fast.

Der Eindruck, Menschen zuzuhören, die einer üblen Wirklichkeit mit Kultur und Vernunft begegnet sind: die Kommunistin aus der Resistance; der Vater des in Vietnam gefallenen amerikanischen Soldaten, der zum Tod seines Sohnes Stellung nimmt nicht mit pazifistischen Sprüchen, sondern klaren Einsichten und einer überlegten Position zu Recht und Verantwortung und mit leise verhaltener Wut über die Schäbigkeit des Vorgangs, amerikanischen Gefallenen posthum vietnamesische Orden zu verleihen; der britische Adlige, Ankläger in Nürnberg, in dessen unfassbar vornehmer und unheimlicher, weil vollkommen ressentimentfreier Kälte das Bombardement von Dresden mir zum ersten mal erschreckend plausibel erschien; der Amerikaner, der von seinen Gesprächen mit dem deutschen General erzählt und von seiner ihm unheimlichen Sympathie für die hilflose Soldatenseele, deren einzige Sorge vor der Hinrichtung es ist, dem Hauptmann der siegreichen feindlichen Armee die Schande zu ersparen, mit einem in einem Raum zu sitzen, der gehängt und nicht soldatisch erschossen werden soll; der traumatisierte Vietnam-Deserteur in Kanada; sogar Speer, dessen Verhalten vor und nach 45 so merkwürdig konsistent wirkt: schwach, mittelmäßig, demütig, nur eben weder böse noch dumm; Studenten im Seminarraum, ernst und bescheiden, eine ausgestorbene Gattung — es herrscht ein Ton von Respekt und ehrlichem Bemühen um das Recht —

— und dann dagegen, sparsam eingesetzt, die richtigen, wirklichen und ewigen Schweine, die BRD-Geschäftsfeisten, die Leugner und aaligen Interessenwahrer, die rückgratlosen Gelegenheitsergreifer und freudlosen Zyniker; von diesem Typus, den man heute überall und ausschließlich reden hört; die haben dann wohl irgendwann gewonnen, so scheint es, wann ist es passiert, und das ist der eigentliche Kulturverlust… ich hör‘ ja schon auf.)]

Link | 18. April 2006, 4 Uhr 41


[… und nur abends gegen sechs plingte das Notebook seinen Sonar-Ton in die leeren Räume hinein und versuchte, mir Rolex-Uhren zu verkaufen. Ein Unterfangen, das mich immer wieder rührt.]

Link | 17. April 2006, 16 Uhr 35


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