Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Ich kann radikale Konsum-Enthaltsamkeit über längere Zeitspannen wirklich nur empfehlen: Die Erfahrung freudiger Erregung beim Kauf von Staubsaugerbeuteln muß man gemacht haben!

Link | 30. Juni 2006, 0 Uhr 43 | Kommentare (8)


Je älter man wird und je länger man eine Umgebung bewohnt, desto schlechter wird die Auflösung der Wahrnehmung. Wenn dann noch äußerer Druck dazu kommt, verliert die Welt ihre nicht-funktionalen Eigenschaften, also gewissermaßen ihre Sinnlosigkeit. Man kann zum Bahnhof gehen und einen Zug besteigen, ohne eine einzige sinnlose Sache wahrgenommen zu haben. Der Zug war ein Zug, insofern er erst nicht da war und dann da war, also das reine Zu-Erwartende, die Tür war eine Tür, insofern sie durchschritten werden musste. Farbe hatte der Zug nicht. (Er wird rot gewesen sein, im Allgemeinen sind sie rot.)

Vom Standpunkt der Effizienz, also dem einzig gültigen Standpunkt, ist dieses Verhalten des Wahrnehmungsapparats folgerichtig und begrüßenswert. Vom Standpunkt des Charakters ist der resultierende Zustand gefährlich.

Man ist aber nicht hilflos. Ein Trick, der fast immer funktioniert, ist beiläufig irgendwo zwischendurchzuschauen. (Es gibt normalerweise keinen Grund, irgendwo zwischendurchzuschauen. Sic.) Bringt man sich dazu, derart den Fokus zu verlieren, platzen die Qualitäten aus den Funktionen; im schmalen nutzlosen Streifen Wirklichkeit zwischen Brücke und Dach zeigen Blätter Silberbäuche und Schwarmverhalten. Die Welt ist unsinnig kleinteilig. Der Zug hat nicht nur Farbe, er hat Persönlichkeit: Genau dieser Zug wäre morgen wiederzuerkennen. Er ist nicht die Instanz einer Regionalbahnlinie, er ist ein Gegenstand mit eigens zerkratzten Scheiben, der abends in eine Garage gefahren wird und dort im Dunkeln knisternd auskühlt.

[wenn ich einmal Guru bin]

[Haptischer Kanon des Mitteleuropäers, „platzen“: Impatiens noli-tangere]

Link | 29. Juni 2006, 1 Uhr 26 | Kommentare (2)


Man sollte nie eine Waffe, aber immer ein Megaphon in Reichweite haben.
Wenn man nachts nach Hause kommt, kann man sich nicht erschießen.
Aber man kann jederzeit das Fenster aufmachen und (auch grundlos) konstatieren:
Es gibt übrigens Poesie, Leute.

[Eine doch sehr bemerkenswerte Tatsache!]

(more…)

Link | 27. Juni 2006, 23 Uhr 55 | Kommentare (3)


Gerade festgestellt, daß meine ökonomische Situation ziemlich gut der ersten Ableitung der zeitlichen Entwicklung der Länge meiner Amazon-Merkliste korreliert.

[(hehe) Die alten data miner wissen alles über mich.]

Link | 26. Juni 2006, 14 Uhr 55 | Kommentare (5)


„Es begann mit einem tollpatschigen Roboter, der über die Felder strauchelte wie die Marionette eines Betrunkenen. Wir wussten längst, daß sie über den Hügel kommen würden, schon tagelang lag ich auf der Lauer im unbenutzten Anbau des Hauses meiner Eltern, das Luftgewehr an meiner Seite als Zeichen einer kriegerischen Aufgabe und den stärksten Feldstecher meines Vaters als wirkliches Werkzeug zu ihrer Erfüllung: Ich bewachte den Hügel. Ich würde das Dorf warnen, wenn sie kämen.

Natürlich lag die Verantwortung nicht wirklich bei mir. Ein paar Häuser weiter stand seit Wochen schon der Wachturm, ein eilig zusammengenagelter Ausguck; aber es war mein Ehrgeiz, sie zuerst zu sehen, wenn sie kämen. Ich weiß bis heute nicht, ob es mir gelungen ist. Als es passierte, konnte ich kaum atmen vor Aufregung, denn es war klar, daß die ruhigen Zeiten dort am Rand des Dorfes vorbei wären.

Vor meinem Ausguck lag ein schmaler Streifen Park (ein umzäunter Luxus, den sich meine Eltern leisteten) dann ein weites Feld, im Herbst tief zerfurcht, untergepflügte Stoppeln verdauend, dann das flache Tal und der Hügel. Der erste Roboter, hoch wie eine Scheune, aber ungeschickt und ohne viel Kontrolle über seine Gliedmaßen, stolperte am abschüssigen Hang, schwang die Beine viel zu heftig und wurde vom Impuls der eigenen klumpigen Metallfüße mehrfach umgerissen. Fasziniert schaute ich dem so gar nicht bedrohlich wirkenden Ding zu. Im Feld, lange vor Zaun und Hecke und der kleinen Pforte in unseren Park brach die schwache Maschine zusammen und blieb liegen. Im Dorf aber war die Hölle los.

Am darauffolgenden Abend schon war das Feld mit den Feuern der Verteidiger bedeckt. Die flackernden Gesichter der wachenden Männer machten mir mehr Angst als die Präsenz der Angreifer auf der anderen Seite des Hügels,
die noch so schwach war: Der erste Roboter war zerlegt und zersägt worden, noch bevor er sich wieder rühren hätte können; einen zweiten, der kaum weniger ungeschickt über den Hügel gestolpert kam, hatte eine kleine Gruppe von Halbstarkten mit zwei Seilen und einer Flex erledigt. Neben den Lagerfeuern sah man die Arsenale der Unsrigen im Schatten, Schrotflinten, ein paar Granaten sogar, Seile, Bretter, ein Dieselgenerator, mehr schweres Werkzeug.

Als die erste Schleimkugel kam, dachten wir noch, es handle sich um eine Art klebriger Artillerie. Sie schossen die Dinger aber in steilem Winkel enorm weit in die Luft, so daß man sie kaum sah, bevor sie kamen, und schon gar nicht hörte. Sie schlugen auch nicht ein oder auf. Sie zerplatzten über dem Dorf. Ein ständiger Nieselregen war die Folge, mikroskopische und schillernde Tröpfchen, kühl auf der Haut, nicht unangenehm. Die Tiere allerdings wurden fast wahnsinnig. (Und zuerst schwach.)

Die Ohnmacht der Männer auf dem Feld schmerzte. Nacht für Nacht warteten sie da draußen, aber nach zwei harmlosen Marionetten, die erkennbar schlecht und aus weiter Ferne kontrolliert waren, zeigte sich kein materieller Feind mehr. Nur die Kugeln platzten über uns, manchmal vier, fünf pro Minute, in schillernden Kaskaden zerstoben sie mit einem sachten plopp, innerhalb von Stunden war der dünne Film überall. In der Sonne trocknete er allerdings restlos auf, in diesen heißen Spätsommertagen fand ich die Feuchtigkeit in der Luft angenehm, wenn ich mit dem Rad eine Meldeaufgabe erledigte oder mich im Dorf umsah, ob es allen (und durchaus auch jemand speziellem) denn gut ginge.

Die Monate unter den Kugeln habe ich als eine friedliche Zeit in Erinnerung. Die zunehmende Schwäche und Ziellosigkeit der Dörfler machte mich stärker und glich die vertrauten Unterschiede aus.
Wir fanden noch heraus, daß die Kugeln nicht platzten, wenn sie zuvor auf eine größere Masse trafen: Ein Stockentenerpel wurde von einer Kugel aus der Luft geschlagen, klatschte in einem nassen, um sich schlagenden Bündel zu Boden und war wenige Minuten später wohlauf und auf und davon, während die Kugel langsam versickerte. Wir bauten Drachen, um die Kugeln abzufangen; kein Schornstein bald, über dem nicht ein blaues Stück Stoff flatterte, wir hielten eine Menge Kugeln auf mit dieser Methode, Kugelfischen nannten wir das.“

Link | 22. Juni 2006, 1 Uhr 16 | Kommentare (3)


Es ist vielleicht ein Spaziergang. Wenn mich jemand fragen würde, denke ich, würde ich wohl sagen: Ich gehe spazieren, ich gehe ziellos umher. Im Stadtbad sitzen sie noch und lachen. Ich finde es gut, daß kein Wasser im Bad ist, ein prächtiges Bad ohne Wasser, im Zustand des Verfalls hat es seine Bestimmung gefunden; Menschen, die Wassersport treiben sind mir unheimlich, Menschen, die sich um ein verfallendes Bad ohne Wasser kümmern dagegen mag ich. Der Copyshop hat zu, es muß spät sein. Ein sehr helles Mädchen steigt auf ein Fahrrad, hoffentlich fällt es nicht oder zerbricht auf den Pedalen. Viel Licht im Stuckgeschäft, ich denke: Ein Stuckgeschäft, ein junges sogar, sie formen auch deinen Körper aus Stuck, wenn du willst. So etwas ist nicht für dich, über Stuck denkst du nicht nach, deine Sorgen sind anderer Natur. Ich kriege es aber nicht hin, das Westdeutschenwort „prekär“ in diesem geistigen Tonfall zu denken, in dem man es denken muß, leicht vorwurfsvoll, mit der Miene eines geprellten Siebenjährigen. Was immer meine Lage ist, prekär jedenfalls ist sie nicht, beschließe ich. Vor mir im Mauerpark fährt die Polizei Schritt, einmal überhole ich sie fast, da packt die der Ehrgeiz, sie beschleunigen und verschwinden. Gespräche links und rechts im Dunkel, Flaschenklirren. Jemand hat eine Theorie zur Beziehung von Filterlosen und Sauberkeit. Zwei tauchen auf und gehen vor mir her, er hat ein Fahrrad und sie hübsche Beine, sie sind gerade weit genug weg, um ihr Gespräch zu verbergen, er fährt einen Bogen, da wird sie lauter, aber ich verstehe trotzdem nicht, was sie sagt. Kitsch ist so überflüssig, denke ich, weil so viel Platz für Normalität ist. Die beiden haben links und rechts fünfzig Meter Platz für Normalität und noch vier Stunden, bis es hell wird. Wie immer sie zueinander stehen, sie brauchen keinen Kitsch. Einige Fenster in der hohen Front der Gleimstraße zum Park sind noch hell, auf einem Balkon sitzen zwei Silhouetten beim Wein. Es ist nicht so, denke ich, daß es keinen Überfluß an Glück gäbe. Abundare, von unda, die Welle: Überfließen. In der Schwedter höre ich einen Baum dem Wind antworten, fast unverfälscht ohne Motorradbeimischung, es ist das schönste Geräusch seit Wochen. Endlich der Schwedter Steg, der sich nachts immer vor einem ausstreckt, als zöge ihn etwas über die Gleise. Bis zur Mitte gehe ich, der Klang der Schritte ist charakteristisch, metallen und hohl, aber sehr leise. Der helle Bahnhof Gesundbrunnen leuchtet und zwei fast leere Bahnen kreuzen sich. Ich wäre gern unten im Gras, drei Haufen Steine liegen dort, aber man kommt nicht so leicht dorthin, jedenfalls nicht, wenn man sich nicht auskennt. Der türmt sich immer, der Wedding am Gesundbrunnen, da drüben hat E. gewohnt, mit seiner verrückt heruntergekommenen Küche und seinem Vollbart, es gibt Bilder. Er sieht aus wie ein Verschwörer darauf, dabei frittiert er nur Kartoffelstreifen. Er wohnt jetzt in Leipzig, der hat die große Hure Babylon verlassen. Ich bin noch da. Ausgerechnet ich. Ich sitze auf keinem Balkon und trinke Wein, die Zeiten sind auch schon wieder vorbei, aber ich wäre nicht hier auf dem Steg, wenn ich auf einem Balkon wäre, und es ist gut hier, weil ich nicht hier sein muß. Ich bleibe, solange ich es aushalte, reglos zu stehen und keinen Grund zu haben dafür. Über dem Aldi ist das Fenster einer Wohnung, wo ich einmal einziehen wollte, eine WG, sogar eine sehr nette. Meine Stadtgeographie spannt sich um WGs, die mich einmal nicht haben wollten. Tote Bifurkationen amüsieren mich. Über der Wohnung, es ist ein Haus mit sehr vielen Schornsteinen, steht der Mond zwischen sehr vielen Schornsteinen. Er zeichnet ihre Umrisse scharf, auch die eines dünnen Stahlgeländers; daß es verbogen ist, macht mich dankbar. Ich denke, daß ich den Mond mitnehmen muß für mein Weblog, ich muß diesen Mond mitnehmen. Erst sehr spät bemerke ich, daß ich nicht mehr allein auf dem Steg bin, ein Paar, sie barfuß, in einem grünen Kleid, er mit Bart und langen Haaren, sehr handfeste, aber kultivierte Typen beide, mitte dreißig vielleicht; ich lächle vorsichtig, ertappt beim Anstarren des Mondes über den Dächern, und als ich vorbeigehe, sagt er – Sag doch mal hallo! Ich sage – Hallo! Und er: – Was machst Du so? Wir haben uns gefragt: Was macht so einer, so relaxt und allein nachts auf der Brücke? Student? Künstler? – Student, sage ich, aber nur gerade noch so. Was denn, will er wissen, ich achte das Ritual: – Einmal raten! – Mit Musik was, rät er, dann überzeugt: Schauspiel? – Oh, Schauspiel, sage ich und mache eine Pause, sie wiederholt – Schauspiel!?, dann dementiere ich – Nein, aber da traut mir jemand was zu. Dann sage ich, was ich wirklich mache, die beiden sind auch damit zufrieden, dann rate ich ihnen, sich auf der Mitte des Steges noch einmal umzudrehen, wegen des Mondes über den Schornsteinen des Hauses mit der WG. Das ist vielleicht ein Tick zu viel Intimität, bemerke ich, aber sie bedanken sich und wünschen mir eine schöne Nacht, ich ihnen auch. Ich ihnen auch. Schauspiel, etwas schöneres hätten sie kaum sagen können. Ich probiere eine Martin-Wuttke-Geste und verbringe den Rückweg durch den Mauerpark in Gedanken auf der Bühne. Ein bisschen Kleist und ein bisschen Schiller und ein bisschen Hauptmann fallen mir ein, und im Geiste rumple ich mit alter Sprache herum und versuche die Sexyness einer leeren schwarzen Probebühne zu fassen zu bekommen. Vielleicht ist es der leichte Ernst dieser Orte, der nur den Schauspielern gehört, sie geben nur ganz selten davon ab. Schauspiel. Werde ich nie studiert haben. Die Form des leichten Ernstes ist eine jugendliche Form, insofern werden Schauspieler nicht alt, nur wir anderen. Menschen haben zweierlei Eigentum: ihre Lebenszeit, ihren Eigensinn. Vielleicht hat die Bühne diesen Ernst nicht allein. So etwas kann nur einer formulieren, der den leichten Ernst kennt, es ist ein leichter und ernster Gedanke. Alexander Kluge ist einer, der nie aufgehört hat, wie ein Neunzehnjähriger zu denken, so schnell und so ernst und so rauschhaft wie man als Neunzehnjähriger eben liest und denkt. Vor dem Stadtbad Oderberger sitzt ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren neben einem Neunzehnjährigen. Ich lächle gegen das Licht an und bemerke zu spät, daß sie weint. Er bemüht sich um Abstand und Trost, das kenne ich, eine zerbrechliche Situation. Hoffentlich haben sie mein Lächeln nicht gesehen, falls sie auch nur einem Hauch von Hohn darin gelesen hätten, es täte mir sehr leid.

Link | 14. Juni 2006, 2 Uhr 16 | Kommentare (8)


[Die Schönheit von Gewalt kommt immer aus dem Stolz der Verlierer.]

Link | 11. Juni 2006, 21 Uhr 49


Da der Schwärmerei nun einmal ohnehin Tür und Tor geöffnet sind, kann ich das auch noch einmal öffentlich feststellen: Ich steh‘ ja sehr auf Kirsten Fuchs. Zunächst auf Tonfall und Sprachgefühl und Haltung, denn wenn ein Zeit- und Altersgenosse Texte in witzender Absicht herstellt, soll er bitte so fähig und sprachlich unabhängig sein wie sie oder, mark (pfeilt mit dem Zeigefinger ins Publikum) mark my words, mich lieber nicht fragen, was ich davon halte.

Jenseits des Klamauk-Kunsthandwerks ist es aber außerdem so, daß in ihren Texten Sachen stimmen. Und zwar Sachen von der speziellen Sorte stimmender Sachen, die man der Zukunft anempfehlen möchte: Da, nimm es und lies es, so war das damals bei uns, so hat sich das angefühlt. Das hat mit einer bestimmten Einstellung zur Welt und einer Wachheit der Wahrnehmung zu tun, die selten ist und toll und der Bewusstseinsindustrie ein Arschtritt, jawohl.

[Und im aktuellen Exoten ist sie auch drin, das ist sozusagen wie in der Bravo, mein Star und ich im gleichen Heft! Ah! Diese Sommernächte voll schäumender Empathie!]

Link | 11. Juni 2006, 2 Uhr 38 | Kommentare (2)


Oh Mann. Diese verregneten Kartoffelsalat-Nachmittage, der Geruch nach Öl und Zement, die Tarnnetze. Meine unzerstörbare Sympathie für die Metaller mit ihren Bärten und ihren feuchten weichen Augen.

[Ja, ich seh‘ grade die Rock-am-Ring-Aufzeichnung]

Link | 10. Juni 2006, 1 Uhr 48


Eins (Kreis, Kugel, Kosmos)

Zwei (On Bullshit)

Link | 9. Juni 2006, 14 Uhr 06 | Kommentare (2)


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