Die Große Pyramide ist ein kompliziertes Ding: eine drängende Seltsamkeit, eine Widerlegung der Materie in Beton, fröhlicher Wille im Gewand eines ruchlosen reality tweak, das Stirnrunzeln kleinlicher Historiker künftiger Zeitalter, ein Schwindel, zwei Schwindel, eine zappelnde Möglichkeit, ein gesellschaftliches Gravitationszentrum, ein Hype in der Schale, ein kommunikativer Belagerungszustand, das Zitat der Idee einer Idee, eine monistische Struktur, ein Schmuck des Planeten, ein protoheiliges Gut —
Am Sonntag gibt es in Streetz, einem, so heißt es, malerischen Ort bei Dessau, ein Pyramidenfest mit Musik und Modellbau und vielen Freunden des unerhörten Gebäudes.
Von Berlin gibt es ein Shuttle. Wer mitkommen möchte, sonderbare Gegenwart gucken, melde sich; nicht auszuschließen, daß ich noch Plätze im Bus besorgen kann.
Zur Geschichte der Form: [1] [2] [3]
Erika Giovanna Klien, Klessheimer Sendbote, 1927-1929.
[pen & paper
poëtisch gelegene froschteiche
charleston
die handschrift
sic
80 jahre, pah]
Seid unsicher. Verlauft Euch in den Gängen. Seid zu schüchtern, Euch zu melden. Seid zu schüchtern für anonyme shoutboxen. Kauft eine halbe Tiefkühl-Ente, und backt sie in einer stockdunklen Nacht, in einer zurechtgefalteten Schale aus Alufolie, im Licht fremder Fenster vom Hinterhof. Lehnt Euch an die Heizung. Lest. Bügelt ein Hemd, fahrt mit flacher Hand über den heißen Stoff. Geht hin. Lauft weg, bevor der gemütliche Teil beginnt. Lauscht dem Surren des Wassers im Heizkörper. Seid langsam. Berührt den schweigsamen Kühlschrank. Hört zu. Fasst all Euern Mut zusammen: Geht allein ins Museum. Bringt Bücher zurück. Schlaft bis halb vier. Kauft bei Plus ohne ein Wort. Seid fremd. Trinkt Wein in der Küche. Werdet krank. Schwitzt. Kotzt. Geht in den Park am ersten halbkräftigen Tag, haltet das Gesicht in die Sonne. Schlaft ein in der Badewanne. Lest und versteht kein Wort. Fresst müde Kilometer durch die Nacht und hört immer nur Kurkapelle. Traut euch nicht.
La-lø-løø.
La-lø-løø.
Unter der kühlen Brisenluft eile ich blicklos hindurch; nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn ich stehenbliebe, mich hineinstellte und entgegen, mich umsähe und tief einatmete.
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29. August 2007, 10 Uhr 10
Die Menschenfeindlichkeit ist immer entweder theoretisch und versöhnlich (die Menschen sind Dreck, aber ihr seid Ausnahmen) oder praktisch und feige (ihr seid Dreck, aber gegen Euch vorzugehen wäre zu anstrengend). Einziger Ausweg aus dem Dilemma ist die Ästhetisierung der Misanthropie, eine Überhöhung, die nicht von konkreten Verfehlungen spricht, sondern eine Qualität in den Menschen erwartet und sie nur selten findet.
Diese Haltung ist zeitlos und gehört zur Klasse der immungen Haltungen.
Immune Haltungen sind Haltungen, die nicht nachahmbar sind. Die klassische immune Haltung ist die des Aristokraten, weswegen es leicht ist, jede immune Haltung für aristokratisch zu halten — das ist als Synekdoche immerhin nicht vollkommen falsch, lenkt aber von der prinzipiellen, allerdings erratischen, Zugänglichkeit immuner Haltungen ab. Immune Haltungen kann man nicht verstehen und nachahmen, nur einnehmen. Tun darf man dazu nichts: Sie haben verschwiegene, untätige Kerne und eine geschwätzige, rege Peripherie: Sie erzeugen ein Flimmern von Beflissenheit an ihren Grenzen.
Die wesentliche Qualität immuner Haltungen ist aber, daß sie konstruktiv nicht erklärbar sind. Sie haben kein rationales Zentrum, das doch immer in Gefahr wäre, infiziert zu werden, sondern sind Prozesse der Flucht, selbst da, wo sie nicht bewusst als Distinktionsapparate benutzt werden.
Misanthropie nimmt die sonderbare Tatsache ernst, daß es keine Eigenschaft, Vorliebe, Fähigkeit oder Meßgröße gibt, die einen wunderbaren Menschen von einem abscheulichen unterscheidet. Dieselbe Vorliebe ist bei einem Menschen rührend und bei einem anderen abstoßend. Deswegen muß es eine geheime Qualität geben, die die Menschen trennt. Das widerliche Gros der Menschen ist widerlich, weil es diese niemandem (auch den Verschwörern nicht) bekannte Qualität nicht besitzt. Die wenigen, denen es gelingt, fast alles, auch großen Unsinn in unserer eigenen Rationalität, richtig zu machen, lösen dagegen Begeisterung oder zumindest Wohlwollen aus. Diese Kluft in der Wahrnehmung ist der rationale Unort der immunen Haltung Misanthropie.
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28. August 2007, 11 Uhr 17
Immer noch aufregend, die Tagebücher der Fremden. Jeden Augenblick erwarte ich den Funken Klugheit, den Wink, den Geistesknuff, mein frohes Grinsen, immer immer.
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Es hält sich das Gerücht, daß Berlin eine Metropole sei. Dabei geschehen in Metropolen Dinge, in Unterscheidung zum Land, wo nichts geschieht, und Kleinstädten, wo das Nichts sich ballt. In Berlin rauscht das Nichts zwar unruhig, materialisiert aber kein Geschehen.
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Meine professionelle Brutalität, täglich meine vorwurfsvollen Blicke, mein kaum verhohlenes schneller!; weil es mir unerträglich ist, an einer Arbeit zu sitzen und auch nur eine Minute länger zu brauchen als nötig, während ich allein zu Hause sein könnte und meinen Dämonen nachspüren. (Es wäre ein Irrtum, mich für ehrgeizig zu halten, ich bin nicht ehrgeizig, ich kann es mir nur nicht leisten, Lebenszeit, die ich der Melancholie stehle, gemütlich zu verbringen; ich verachte IT-Arbeit viel zu sehr, um sie nicht mit Entschlossenheit und Bedürfnisignoranz durchzuexekutieren.)
Ginkgo verbessert das Gedächtnis, so viel ist wahr.
[du spottest schon wieder]
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26. August 2007, 22 Uhr 22
Die Wirklichkeit ist unerträglich falsch. Diese Unerbittlichkeit des Einzigen Faktischen, die Unerbittlichkeit des Wirkenkönnens und Gewirkthabens in der Wirklichkeit, und es passiert das und das und dann ist das so, wer denkt sich so etwas aus. Die Wirklichkeit muß weg, dieser stumpfe, unoriginelle, gemütlose Klapperatismus muß weg, muß entzwei gehauen werden, muß ausgetrieben werden wie ein schwächlicher Poltergeist.
[Ginkgo & der Feind]
Walter Pater schrieb, alle Kunst strebe danach, den gleichen Bedingungen wie Musik zu unterliegen. Der offensichtliche Grund (ich spreche als musikalischer Laie) wäre, daß sich in der Musik Form und Inhalt nicht auseinanderreißen lassen. […]
Dann staunt er [Stevenson] über den Dichter, der imstande ist, diese für den Alltag oder abstrakte Zwecke gedachten starren Symbole zu einem Muster zu weben, das er »the web [das Gewebe / Gewirk]« nennt.
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