Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Meine liebste, weil genaueste Kritik dieses Jahr kam von Karla, die, in einem kleinen Seitenhieb, sinngemäß sagte: Angesichts der Untätigkeit des Protagonisten eines von mir kritisierten Textes müsse ich mir klar machen, daß in einem Szenario der Bedrücktheit, wie Hartz IV eines sei, feinsinnige Beobachtung als Methode der Textproduktion einfach ausscheide — dies feinsinnig vorgebracht mit leichtem Spott, vielleicht einem freundlichen Hauch Verachtung.

In derselben Diskussion kamen weitere Beiträge, die mich viel lehrten über die Rezeption meines Tuns hier: Den (von mir vollkommen unterschätzten) konservativ-eskapistischen Ruch, das Balkonzimmer, die gute alte Zeit, optisch, stilistisch, orthographisch, inhaltlich, eine allzuleicht erreichbare Seligkeit für Schöngeister im Geiste und eine Beödung der aggressiveren Leser, insgesamt fast eine Altherrenangelegenheit — das wäre schade (kein Komma) sehr schade, das soll doch ganz anders funktionieren, verdammt!

Ich bezweifle nach wie vor, daß Karlas eigentliche Kritik-Kritik valide ist, weil ich sie für eine Form der proletarischen Kritik halte, die behauptet, daß die Güte eines Textes mit seiner sprachlichen oder inhaltlichen Übereinstimmung mit der Lebenswelt einer (und sogar einer bestimmten) Klasse oder Gruppe zusammenhänge. Der Feinsinn allerdings ist ein Treffer, insofern er eine einigermaßen selbstgenügsame Masche durchschaut und präzise benennt.

Ich habe nachgedacht und zwei mögliche Lösungen für mein Problem gefunden. Erstens, ich poste eine Weile lang ausschließlich YouTube-Videos und wehre mich dergestalt gegen den altherrenhaften Feinsinn, verstecke aber in der Auswahl der Videos Botschaften (um Spaß an der Sache zu haben.) Zweitens, ich greife den Stier bei den Hörnern und poste eine Weile lang ausschließlich pornographische Texte — um eine Art Exzess von Altherrenhaftigkeit und Feinsinn herbeizuführen und die beiden so zu transzendieren.

Abstimmung!

Link | 29. Dezember 2007, 17 Uhr 03 | Kommentare (12)


12 Comments


Pornographie, bitte. Transgression. (Literarische) Travestie. Das vertraute Auge des Beobachters, das auf das Weiße im dislozierten Batailleschen Auge trifft. Und den Sieg davonträgt. Wenn es die renommierte Youporn-Filmkritikerin Ludmilla Kamschotka schon nicht gibt, muß ihr jemand seine Stimme leihen.

Kommentar by Booldog | 18:39




Ah! Ich hatte ja an Primärtexte und gar nicht an Kritik gedacht, aber Ludmilla ist eine ausgezeichnete Ergänzung. Falls die Pornofraktion groß genug sein sollte und die Abstimmung gewinnt, natürlich.

Kommentar by spalanzani | 18:45




so ein großes hallo für einen so vorschnell dahingeschriebenen kommentar! sie machen es sich zu schwer. und mir. (ich bleibe beim sie, ohne damit geistige mauern aufbauen zu wollen. nennen sie es grille.)

sie haben recht: hätte ich behauptet, stil oder güte eines textes müssten mit der lebenswelt, von der er handelt, übereinstimmen, ich wäre nicht wert, hier kommentieren zu dürfen. ich denke aber nicht, dass ich das habe. ich interpretierte den sprachlichen eskapismus des textes (sich in banale formulierungen flüchtend, diese ständig wiederholend, um das elend nicht benennen zu müssen) als „schutz vor scheiße“. weder stellt sich der erzähler seinen problemen direkt, noch kann er sie mit einem übermaß an feinsinn greifen, weil er sich ihnen dafür ebenfalls stellen müsste. oder anders: der feinsinn des textes besteht in seinem mangel daran. (handke-groupies sagen solche sätze, glaube ich.)

ja. ich weiß. mich selbst ein stück unangreifbar machen mit diesem geschwurbel, mit diesem um-noch-eine-ecke-weiterdrehen der argumente, das ist der fluch der vollständig durchironisierten post-postmoderne, wir sind von riesenmaschinen und kleinengeistern versaut worden, was uns letztlich zu besagtem text zurückführen könnte, wenn man wollte.

die problemlösungen betreffend: allein schon die formulierung „pornographische texte“ erscheint mir zu feinsinnig, um noch für ein antidot geeignet zu sein. deshalb stimme ich für youtube-videos.

Kommentar by frau_karla | 19:38




Nein, nein, ich mache es mir keinesfalls schwer, keine Sorge. Ihr Feinsinn ist nur das passende Label für ein interessantes Problem, das, wie gesagt, von besagter Diskussion ganz unabhängig existiert.

Selbstbezichtigungen unter Verwendung des Wortes „Geschwurbel“ werden ignoriert, dafür muß ich Sie nun, Verzeihung! doch rügen.

Die Stimme ist (amüsiert) notiert.

Kommentar by spalanzani | 20:25




rüge akzeptiert.

Kommentar by frau_karla | 21:23




Alle Klischees stimmen. Auch das über Abstimmungen in der Kunst.

Kommentar by Opa | 10:39




Ich bin für Porno. Kategorisch.

Kommentar by zak | 14:56




Gemäß dem Dictum, das Ganze sei doch oft mehr als die Summe seiner Teile, lechzt die Leserschaft danach, herausphilosophieren (von mir aus: herausschwurbeln) zu dürfen, welchen verwerflichen Neigungen neben Altherrenhaftigkeit und Feinsinn noch zum Exzess verholfen sein wird, wenn Sie – endlich! endlich! – Ihr Portefeuille um ein lang vermiedenes Genre erweitern werden. Und dass Sie, gestellt vor die Wahl Filmchen oder Prosa, den Text wählen und sauber selbst pornographieren werden, daran je einen Zweifel gehabt zu haben werden Sie Ihren Lesern doch wohl nicht unterstellen wollen. Die plebiszitäre Gewinnung eines wohldosierten Anlaufs nebst subventionerendem Rückenwind sei Ihnen verziehen.

Kommentar by hora sexta | 16:31




Man sollte aber vielleicht noch explanatorisch anhängen, dass nicht der Fehler begöngen wörden söllte, den Begriff Pornographie mit medial aufbereitetem Geschlechtsverkehr synonym zu setzen.

Kommentar by zak | 17:45




Ich bin für ein Potpourri aus beidem.

Kommentar by goncourt | 18:20




Hora: Nicht gerade Rückenwind, der frischt nur auf; hier geht es um die Produktion einer angemessenen Schwüle.

Kommentar by spalanzani | 14:17




Zu sich:
Ah! Noch besser! Mut zur Schwüle. Kann man etwas dazu tun? Nicht so viel reden.
[Gedacht: Lärm ist der Feind sovielens.]
Ab.

Kommentar by hora sexta | 18:55