Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Die Transformation beginnt viellleicht mit einem einfachen, ganz gewöhnlich von einer Gruppe von Architekten, Bauingenieuren und Arbeitern ausgeführten Gebäude, in dem das Licht genau richtig ist.

Vielleicht wird das Gebäude von geraden Korridoren durchzogen, in denen Naturfaserböden zwischen den Betonwänden verlegt sind und die an ihren Enden bodentief verglast sind, so daß die Korridore, auf verschiedenen Etagen, je zwei Ausblicke in die Gärten direkt verbinden. Vielleicht riecht es nach ungebranntem Ton. Die absolute Lautlosigkeit des Lichts, das aus schwarzen Zylindern in die Korridore und auf die Naturfaserböden und Betonwände fällt, löst die Transformation aus.

Von diesem Gebäude ausgehend verwandelt sich alles. Nichts Schönes wird mehr vergessen, die Pfauen beiben in den Orangerien, und die Verhältnisse kehren sich um: Nicht mehr muß jede Aufmerksamkeit für das große Werk des Erinnerns und der Wahrnehmung einer feindseligen Welt abgetrotzt werden, die alle Versuche, an ihm zu arbeiten, mit allen Mitteln der Armut, des Zwangs, der Niedertracht, mit Anreizen zur Eitelkeit und mit Gewalt zu untergraben und von vornherein zu zermürben sucht, sondern die Ökonomie des Mangels, in deren Namen dieses Niederhalten des Reichs der Klarheit geschieht, weicht zurück vor der sich vom Gebäude her ausbreitenden unwiderstehlichen Serenität. Nach und nach wird alles verwandelt in eine Landschaft aus Spuren und Rätseln, mit dunklen Bahnhöfen und Ruinen, über die es Gedichte gibt, und in den dort besungenen fiktiven Häusern werden die Texte der nächsten Schicht geschrieben.

Link | 12. März 2019, 3 Uhr 19


«Das Problem ist doch gar nicht, wie man die Welt vor Unheil bewahrt, das Problem ist doch, wie man im Wald verschwindet, wie man sich unsichtbar macht für das große Auge und ein ganz und gar lokales Leben führt und die Welt ganz und gar tilgt» sagte die rote Dame.

Die rote Dame war einige Viertelstunden zuvor in den Saal getreten und hatte sich seither leise mit uns ausgetauscht zum Stand der Dinge. Die Fresken in der Saaldecke verschwanden in der Dunkelheit, da der mächtige Raum nur auf Knie- und Brusthöhe von einigen wie zufällig an ihren Standorten vergessenen FLOS Glo-Balls beleuchtet wurde, deren Reflektionen auf den schwarzweißen Fliesen froren. Der Auftritt der roten Dame war dieser Kulisse entsprechend theaterhaft gewesen: man ist ja ohnehin keine roten Damen mehr gewohnt, keine Gleichaltrigen in Abendgarderobe, keine Messer im Strumpfband, keine beiläufig mit zwei Fingern zwischengeschobenen russischen Eier.

Es war nicht leicht, ihrer Wachheit auszuweichen und jede Spur von Gegenwartsideologe zu tilgen aus dem Modell-Gesprächspartner, der man ihr sein wollte, schon des Raums wegen. Ich empfand es trotzdem als reinigend, so wachsam auf der Hut zu sein vor der eigenen Plapperneigung.

Natürlich hatte sie Recht, der wehrlosen Dreizehnjährigen eingeredete und dann von ewiger Adoleszenz bewahrte Messiaskomplex führt zu nichts als schlechten Manieren und Bitterkeit, aber nicht jeder hat einen jahrhundertealten Wald aus Fresken und Fliesen und Verwandten zur Verfügung: Manche von uns müssen dem großen Auge mit bescheideneren Mitteln entkommen.

Link | 10. März 2019, 12 Uhr 47