Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Wir sehen: Ein niedriges, aber großes Wohnzimmer mit Teppichboden und Holzdecke. Die Möbel stehen an ihren Plätzen. Wir sehen das Zimmer aus einer Raumecke oben, aus der Perspektive eines Zierkruges aus Zinn, oder einer staubigen Bastelarbeit auf dem höchsten Regal. Nichts rührt sich, nur: Die Schatten der Vorhänge wandern über den Fußboden. Ein Fernseher, GRUNDIG oder NORDMENDE oder SABA, beginnt zu knistern, ohne ein Bild zu zeigen. Nur kleine Entladungen auf der warmen Röhre sind zu hören, und ein Knacken aus der Küche, wenn der Sekundenzeiger unter die Minute schlüpft. Wir sehen die Zeiger nicht. Wir sehen aus der Zimmerecke: Reglose Möbel.

Link | 30. Dezember 2019, 1 Uhr 32


Aufgrund eigener häuslerischer Umtriebe habe ich endlich Thomas Bernhard – Hab & Gut gelesen und mit Muße mir angesehen. Bei Bernhard jedenfalls ausgeprägt: Die Neigung zur Festung, also außenfensterlose Grundstruktur, und eine Aufführung für Niemanden im Inneren, eine Selbstkultivierung mit ausgesuchten Dingen, deren Adressat nicht irgendwelche (eh unerwünschten) Gäste oder musealgesinnt im Schlafzimmer herumgehende Nachweltbewohner sind, sondern einzig der Bewohner selbst, der sich eine bürgerliche Welt zusammenstaffiert wie sie bei Bürgern längst nicht mehr vorkommt. Gegen die ästhetische Doxa zum einen, aber auch gegen die Inkompetenz der Vergangenheit, etwas mit ihrer Schönheit anzufangen, lebt ein Spätergeborener da seiner Seele vor, wie es richtig gegangen wäre mit solchen Dingen, und wird ruhig dabei.

Link | 29. Dezember 2019, 1 Uhr 31


Wir denken immer, das Hergebrachte sei vorhanden seit die Erde stünde
dabei rührt das meiste, was wir für die natürliche Einrichtung der Dinge halten
aus der kurzen Spanne gerade unserer frühen Kindheitstage her
und das uns als uralt und fest in der Zeit stehend Beschriebene
ist nur der Zustand der immer sich verändernden Welt
gerade im Augenblick der Kindheit unserer Eltern,
die dem gleichen Irrtum unterlagen wie wir beim Blick in den Abgrund ihres Herkommens.

Link | 28. Dezember 2019, 1 Uhr 39