Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Der Anblick fiedriger Tannen vor dem Haus, die Kühle der Luft nach dem Morgennebel, reglose Klarheit des Wassers im Trog, fern eine Vielzahl kleiner Glocken; meine Hände wärme ich im Pullover an den Ellbogen, als ich ans Fenster trete.

Die Vorstellung großen Reichtums hatte für mich mit wirklichem Geld nie viel zu tun: Geld wurde verdient oder geerbt oder durch Spekulation erworben, all das waren unreine, mit menschlicher Ambition und Konkurrenz und Niedertracht in Verbindung stehende Felder. Großer Reichtum könnte, das wusste ich immer, nur über einen Zufall zu mir kommen, in Form eines anonymen vergessenen Kontos, auf das ich beiläufig und unverschuldet Zugriff bekäme und das mehr oder weniger unerschöpflich sein müsste, ein blendend goldenes Leuchten aus einer Edelstahlschublade. So ist es mehr oder weniger gekommen.

Man landet, ganz prosaisch und routiniert, als mache man Zwischenhalt auf dem Weg in die Vereinigten Staaten, um die fürchterliche Lügner- und Trockenbrezelairline United zu vermeiden, in Zürich. Dort verlässt man den Flughafen, passiert die Rauchverbotsschilder mit den durchgestrichenen Pfeifen, und steigt am Hauptbahnhof in einen Zug nach Bern, und da wird man dann durchaus abgeholt. Das diskrete Ritual des Öffnens der Kassette in Bern ermöglicht diesen vollkommen losgelösten Reichtum: Geld, das alle Verbindungen zu seiner Herkunft verloren hat, ist schandlos. Und von dort aus ist es dann natürlich leicht, nach Einzahlung auf ein ganz normales Konto bei der UBS, etwa nach Marokko zu fliegen und etwa die Villa E für ein paar Tage zu mieten und nasse Fußpatscher auf den heißen Polygonalplatten zu hinterlassen, Facial Fuel und eine Tube Odol Med 3 auf dem Spiegelsims. Nach Kiehl’s und Malin+Goetz kommt nicht mehr viel, und eine bessere Zahnpasta als Odol Med 3 kann auch großer Reichtum nicht kaufen.

Oder man lässt das mit Marokko und fährt nur nach Montreux weiter oder bis Montpellier und sitzt am Aquädukt auf einem kühlen Stein und liest im Proust bis man hungrig genug ist, die Scheu vor den Altstadt-Boulangerien und dem eigenen Ungeschick im Französischen zu überwinden.

(Mit wem muß man sprechen, um unerschöpflichen Reichtum in ein Cologne zu verwandeln, das eingestellt und angepasst ist auf die eigene niedrige Kopfschmerzgrenze? Gibt es diese Nummer, bei Guerlain? Ich wäre sehr enttäuscht, gäbe es sie nicht.)

Link | 31. März 2021, 1 Uhr 36


Türen sind nicht geheuer, weil nicht einzusehen ist, daß auf ihren anderen Seiten immer dieselben Räume wiederzufinden sein werden. Wie die Spiegel, ihre noch unheiligeren Cousins, stehen sie deswegen unter scharfer Beobachtung.

Ist hinter dieser Tür der vertraute Flur, beleuchtet gar für gar niemanden, so daß nur ein Staub im Lichtkegel in den Wärmesog der Birne gerät? Der Flur, in dem meine Cordjacke hing und den ich mit der Cordjacke photographierte, bevor ich sie unverhüllt auf die Beutel mit den Eierschalen und fauligen Orangen in den großen schwarzen Container legte?

Oder ist hinter dieser Tür diesmal ein Verschlag mit einem deckellosen Abort mit schwarzem Rand? Knietief auf den Salz-und-Pfeffer-Kacheln nasser Rollensumpf und viermal vom Xerox xeroxierte Flyer? Der Gedanke: Das ist jetzt einer dieser Momente. An der Beschichtung der Wände gelbe Blasen von gelangweilten Feuerzeugen, Telefonnummern, die Antifaflaggen? Und das An- und Abschwellen der Musik beim Öffnen der Tür, ein durchlaufender Wasserhahn, ein Körper, der nebenan gegen die Stallwand wankt mit Gepolter und leise flucht.

Beim nächsten Öffnen der Tür drängen Gitarren und Wummer-der-aus-den-Wänden-kommt über die Szene, und ich banne sie in einer offenen Hand und presse sie zusammen. Mit Edding notiere ich, links, schräg aufwärts, während auf der anderen Seite der Platte der Kampf um Gleichgewicht und Fassung weitergeht:

noch rumpeln die güterzüge auf dem durchgangsgleis
nordwärts und südwärts, mailand und amsterdam
durch die dunkelheit
zwischen den bengalischen fenstern des kali- und salzkonzerns
und dem gekränkten denkmal für die neue eisenbahn
(wie wesen aus einer fremden welt erschienen die weißen züge
zwischen den streuobstwiesen und blaubedoldeten bauerngärten
im summen der letzten netzlosen sommer)

Link | 14. März 2021, 0 Uhr 39