Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Bov Bjerg, Deadline. Weil ich Bov, wie eigentlich jeder, mag und vermute, daß er das angemessen finden könnte (weder zu ranschmeißerisch noch zu distanzbemüht), werde ich hier eine besonders klugscheißerisch-informierte Empfehlung seines Romans vorbringen:

Bov Bjerg; Deadline. Vor allen Dingen ein schwäbisches Buch. Nichts von dem, was da geschieht, ist außerhalb des Schwäbischen denkbar; die zahlreichen Schrecken sind die Schrecken Katholisch-Schwabens: Schrecken der dörflichen Nähe und der Familie als ins Dorf hineingewobene Nähe-Struktur; Schrecken der Nähe (im Sinne dauernder Anwensenheit) des Todes im barock-katholischen Kult (dessen nördliche Provinzform aller frivolen Leichtigkeit der habsburgischen Master-Variante entkleidet ist) —

[wenn da do mol denna bisch kommsch nemme raus sagte der Linus, ein Freund meines toten Großvaters, mit dem er im Krieg gewesen war, zu mir. Er sagte das gestützt auf eine Schaufel, neben einem monoton scharrenden Betonmischer: Die alten Männer bauten eine Aussegnungshalle, durch die sie hindurch gehen würden auf die andere Seite der Friedhofsmauer (ich verstand die Bedeutung des kleinen Gebäudes nicht und vermutete eine magische Struktur, eine Without-Output-Machine, ein Haus, das in einem sehr buchstäblichen Sinn einen Eingang, aber keinen Ausgang haben würde — nein, die Alten des Dreihundert-Seelen-Dorfs bauten nur ein Haus, um in Anstand abgehen zu können.)]

Strukturell, könnte man sagen: ein Experiment mit der Selbstauflösung gedruckter Sprache. Immer wieder von Google erzeugte Strecken, ständig überschreibt random Netztext das Sprechen der Protagonistin, auch in der leerlaufenden Bescheidwisserei über alles; daß sich die Frage nach der Relevanz von Bildungsgut in Zeiten unmittelbarer Nachschlagbarkeit irgendwie stellt, ist ja bekannt, Bov Bjerg weiß auch nur die Diagnose zu festigen — sprachlich nicht vollständig befriedigend: Lustig, gerade vorgelesen, und sehr schlau, aber der Signal-Rauschabstand verringert sich eben auch in der Literatur, wenn das Rauschen literarisiert wird.

Darüber hinaus gibt es eine Menge toller charakteristischer Bov-Bjerg-Ostereier („Weißer Rohrzucker? Wo hast denn den her?“), Wachsleichen, Slapstick-Sex und ein atmosphärisch ausgesprochen dichtes Haus, das vollständig aus beschrifteten Steinen zu bestehen scheint und das sich eigentlich mal jemand ausborgen müsste für einen weniger luziden Roman, Genretrash, in dem keine ROT13-verschlüsselten Mails von schwäbelnden Schwagern das Wehen der Vorhänge und die durchziehenden Lichter stören, oder.

Link | 28. September 2008, 17 Uhr 00