Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Ich kam vom Fechten, aufgedreht noch und heiß und im Geiste die mehrfach missratenen Aktionen noch einmal durchspielend auf der Suche nach dem Fehler: Wie immer hatte ich mit Einsatz meinen Mangel an Talent kaum wettmachen können, aber es war doch nicht ganz so hoffnungslos gewesen wie in der Woche zuvor. Ich war also in Hochstimmung und mochte mein Bild gern leiden, mit den verschwitzten Haaren, wie es sich in der Straßenbahntür spiegelte und der Nacht dahinter.

Es ergab sich diese Situation: Am Eingang blieb ich stehen, ganz vorn, und setzte den Fechtsack ab vor mir. Auf den vorderen Sitzen saßen zwei dunkelhaarige junge Frauen und unterhielten sich auf Englisch. Rücken an Rücken mit ihnen saß eine große blonde junge Frau in einem grauen Rock, die sehr gut aussah. Auf der anderen Seite des Gangs saß ein junger Mann, ebenfalls groß, schlank, sicher und gutaussehend. Diese beiden gehörten sicher zusammen: A-Exemplare der Spezies, dachte ich mit einem gewissen albernen Stolz.

Die blonde junge Frau schaute zu mir und lächelte mich an. Die Straßenbahn ruckte los, und ich prüfte im Spiegel der Tür, ob es irgendeinen Grund gäbe, in meine Richtung zu lächeln, außer mir: Nein. Die blonde junge Frau prüfte im Spiegel der Tür, was mein Fechtsack für ein sonderbares Ding sei. Als ich sie dabei ertappte, wie sie gerade (so nehme ich aus Erfahrung an) die Gitarrenhypothese verworfen hatte und wieder mich prüfend ansah über die Türbande, lächelte sie noch einmal, offensiv und direkt. Ich wurde ganz benommen von diesem Gelächel.

Die beiden dunkelhaarigen Frauen, die sich auf Englisch unterhielten, kamen, so schloß ich aus ihren Akzenten, nicht aus demselben Land. Die eine war Italienerin, die andere, dachte ich, vielleicht Serbin. Sie unterhielten sich über Beziehungen. Ich erfuhr, daß sie 22 waren; eine von ihnen war mit einer Frau zusammen. Die andere sagte etwas, vielleicht zu sich selbst oder zur Welt, auf Italienisch, was wohl unanständig war: Der sehr gutaussehende junge Mann nämlich drehte sich zu ihr um und sagte grinsend auf Italienisch, daß sie nicht annehmen könne, daß hier keiner Italienisch verstünde. Große Fröhlichkeit und Schäkerei erhob sich, ich lächelte mit und war eigentlich blicklich schon von allen aufgefordert, doch auch in diese Situation einzutreten und etwas beizutragen. Wie üblich verpasste ich den Moment, halb aus Trägheit, halb aus Schüchternheit.

Die beiden redeten dann weiter, und irgendwann sagte die eine:

– And then after some while when you cannot make it work, you accept your fate, right? You separate and move on. I mean, that’s how it works, right? You move on.

Und ich streckte mich aus mir heraus und rief:

– No!

Und dann, erklärend:

– That’s not what you do. It’s not how it works. And fate has nothing to do with it. It’s just you, making choices. But I know, everybody thinks this is how it works when they’re 22. But let me tell you, it’s not fate that you accept, it’s failure. And you do not move on. You won’t move on. Because love and memory is somehow the same thing, as anybody who has listened to Chris Marker will know. I’ll tell you what actually happens. What actually happens is this. You plan to move on and you look forward to it, and then after a while you notice you don’t want to. You’re miserable. For years and years to come, you’re just miserable. You may deny it any try to cover it up and try not to be, you may do stupid things maybe that’ll make you even more miserable. But it won’t help to move on. You’ll spend your evenings wanting to write emails that you cannot write any more, and you’ll get up in the middle of the night and want to send roses and all that, and you’ll be lucky if you wake up fully before you can hit the ’send‘ button on the fleurop site and make a fool out of yourself. And you’ll spill some champagne from your glass, on new year’s eve, when you think nobody’s watching, for the years to come, and silently say „here’s to you“ to the night and the fireworks and the fog and the crackling noises around you, to someone who isn’t there and wouldn’t care. Or maybe they would. But you can never know and that’s a scandal, it’s the primordial scandal. That’s what happens.
And you –

an dieser Stelle wandte ich mich den anderen zu, die sich umgedreht hatten zu mir und mir zuhörten mit zunehmendem Leuchten in den Augen:

– and you probably think ‚this is so sweet‘ now, but it’s really not. It’s not sweet. Not at all. It’s not about me being romantic. This is but the bitter truth that nobody wants to admit, because the „move on“ story is so much more convenient. We want it to be true so badly that we’re all buying into it when we’re 22. And then, after we’ve tried to move on one or two or three times, we’re so much older, and we realise we really don’t have an infinite number of shots. We like to think we’ll just move on and try again, applying what we learned, but we cannot even try again once. We try, and then we try a second time, but we’re trying something else already. It’s not destiny any more, we made a choice, right? And it’s all different and difficult all over again. But there’s places we can’t go and words we can’t say and music we can’t play any more. Memory and love, cruelly, but true to who we once were, won’t let us. It gets really difficult the third time, and more difficult the fourth time, and very hard the fifth, I guess. Because we never move on. We just try to find a spot from where the ruins that are our hearts still look intact. But at some point, we cannot pretend any more that we’re not in ruins. We just are, we look broken from every angle. We may fool ourselves into believing we can love again like we did the first time, or the second, or the third. But we cannot. We can act stupid, and pretend, and look ridiculous, that’s what we can do, or we can be bitter and cynics, which has a certain appeal I guess. But that’s our options. Everybody knows about the ruins, everybody sees the ruins. We know about the ruins. Who are we trying to fool.
And this –

hier hob ich den Fechtsack an mit der rechten Faust und setzte ihn auf der Schulter ab und streifte ihn über den Rücken hinter mich —

– And this is how it will feel. You don’t think it will, but it will. It’s the same for all of us. You want to believe that you’ll move on and that’s how it works. Which is as stupid as it seems to be inevitable. We all make this same mistake and we all end up the same, moving on until we, finally, marry a random person when we realize what was really going on all the time. And we didn’t even want to marry. But we’re scared. When the truth hits us and we’re so old all of a sudden, and we notice the ruins. But it’s too late. The truth is that the only thing that would have worked would have been: To choose wisely. And then. never. quit. ever. Cheat if you must, or don’t bother with fidelity at all if that isn’t your thing, and fight, and beg for forgiveness. But don’t give up. Don’t fuck with love. And that’s the thing to do. But you cannot do this any more when the truth hits you. You should have started to do it at 22.
Sorry. I didn’t want to eavesdrop.

Und da hielt die Bahn und da wollte ich, für den Effekt, die Bahn verlassen, draußen hätte gern ein Gewitter stattfinden dürfen, wenn es nach mir gegangen wäre, aber es war nur dunkel, und ich drückte auf den Türöffner. Nur war leider mein Timing sehr schlecht, und ich musste drei ganze Sekunden auf die grünen Öffnerlichter warten.
Dann winkte ich ihnen, ohne mich umzudrehen, mit dem Handrücken noch einmal zu und verschwand, meinen Fechtsack tragend, durch die aufgleitenden Türen hinaus in die Nacht.

[Manchmal muß man Erasmusstudenten was beibringen. Ein bisschen schäme ich mich, weil ich das alles auf Deutsch nie hätte sagen können, diesen ganzen tumblrtauglichen Lebensweisheits-Kitsch: Der ließ sich nur im automatischen Brabbel der halbbeherrschten Fremdsprache ausrollen, oder rollte sich, vielmehr, selbst in ihm aus.]

[Nachtrag: Interessant, wie das jetzt als „Plädoyer für die große Liebe“ verstanden worden ist. Aber nein! Gerade nicht! Es ist, höchstens, eins für jede einzelne Liebe. Die sogenannte Große Liebe ist ja eben eine der Rechtfertigungen für die Leichtfertigkeit, weil: Das soll jetzt die Große Liebe sein? Nicht doch die vorherige, oder die nächste? Und das ist eben der Irrsinn.]

Link | 23. August 2012, 23 Uhr 57 | Kommentare (5)


5 Comments


Danke für die Worte, die Sie meinen Taten geben.

Kommentar by froschfilm | 14:47




Bumm.

Kommentar by Andreaffm | 21:47




Aber ich selber,
Königin, Ich knie vor dir nieder,
Und huld’gend, auf rotem Sammetkissen,
Überreiche ich dir
Das bißchen Verstand,
Das mir, aus Mitleid, noch gelassen hat
Deine Vorgängerin im Reich.

Kommentar by E^(-1) | 1:39




+1

Kommentar by Paco | 17:29




„Ein bisschen schäme ich mich, weil ich das alles auf Deutsch nie hätte sagen können, diesen ganzen tumblrtauglichen Lebensweisheits-Kitsch: Der ließ sich nur im automatischen Brabbel der halbbeherrschten Fremdsprache ausrollen, oder rollte sich, vielmehr, selbst in ihm aus.“

Geht mir lustigerweise ähnlich, danke für die Beschreibung, wird in die passende Kategorie eingeordnet. Als Dank gibt’s ein ähnliches Zitat zurück, stört ja niemanden 😉

„Warum ich auf französisch schreibe? Mit zwanzig bin ich nach Paris gekommen, um hier ein Jahr zu studieren. Und ich bin geblieben. Die Frage ist also: Warum dieses Exil? Ich hatte den Eindruck, dass es sehr wichtig sei, den Umweg über die fremde Sprache zu gehen, um die falsche Eindeutigkeit der Muttersprache zu zerstören – ein wenig wie bei Beckett. Ich hatte meine Kindheit auf Englisch gelebt – und dachte, ich müsste mich von diesen Erfahrungen entfernen, von diesen Gefühlen. Französisch war für mich eine Sprache ohne Emotionen, eine Sprache, die ich kontrollierte. Ich hatte die Illusion, erwachsen geboren zu sein.“

(Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/1821810/)

Kommentar by Klaus | 3:51