Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Und dann habe ich noch die letzte Ausgabe vom FREUND gelesen und muß Herrn Reinecke doch noch deutlicher widersprechen als ich das in den Kommentaren seines Abgesangs schon getan habe; ich finde auch die letzte Ausgabe ausgesprochen stark; Texte, die weder zu literaturschwer-ernst auftreten noch sich entschuldigen für sich selbst, bevor sie recht angefangen haben; an diesen Selbstverständlichkeiten scheitern ja andernorts schon viele. Natürlich auch wieder ein paar Irrtümer, aber doch nie schwere. Alles in allem bleibt es dabei: Ich kann mir nicht helfen, ich finde zuverlässig alles gut, was Christian Kracht macht.

Beim Gutfinden von Kracht gibt es ein wesentliches Problem, um das man sich nicht drücken darf: Den Verdacht auf Snobismus. Kracht kommt aus der schmalen echten Elite der bundesdeutschen Gesellschaft und der Geist in seinen Büchern ist nunmal der einer verlängerten jeunesse dorée. Wäre ja wohl möglich, daß man selbst nur einer ähnlichen Regung aufsitzt wie bürgerliche Frauen mit Adelsfimmel. Ich habe mir diese Frage in den letzten Jahren gelegentlich gestellt, unterschiedlich beantwortet und mich am Ende dafür entschieden, einfach kurzerhand alles zuzugeben, wann immer jemand einen solchen Verdacht äußert. Der Grund dafür ist einfach, daß man sich als Kleinbürgerlein ja kaum wehren kann gegen einen gewissen Respekt fürs höhere Kulturniveau und den leisen Neid auf Möglichkeiten und Sicherheiten anderer Leute. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Man kann wählen: Entweder zugeben, oder nicht zugeben, dafür aber rumdrucksen und heimlich Einkaufs- und Reiseverhalten anpassen; oder dauernd rüpelnd den Stolz auf den eigenen sozialen Ort betonen und dann am besten noch gleich mit den Resultaten des Besuchs intellektueller Muckibuden herumproleten.

Ich sage also: Wenn ich Kracht gut finde, dann mag das sehr wohl auch daran liegen, daß ich mag, wovon er erzählt, nämlich von einem Leben, das ziemlich erstrebenswerte Eigenschaften hat. Daß ich lieber mit gut angezogenen klugen Menschen in der Welt herumfahren und interessante Steckenpferde aufsammeln würde als hier zu sitzen und mich zu fragen, ob mir die belfernde Erfolgsrhetorik der interessanteren möglichen Arbeitgeber nun zuwider oder doch nur schwer verdächtig ist — ich geb‘ das lieber zu.

Soviel also zum Grund, warum es für mich komplizierter ist, Kracht gut zu finden als, sagen wir, Jochen Schmidt oder Kirsten Fuchs oder Tim Staffel: Bei Kracht geht es auch um Geschmack und Haltung. (Wenn einer im Interview auf eine Guido-Frage sagt, Guido Westerwelle ist für mich sehr, sehr weit weg — dann ist das die einzig richtige Antwort und ein gutes Argument, so ein Heft immer wieder mit Wohlwollen zu kaufen. [Das Leben ist zu kurz für eine Meinung zu Guido Westerwelle, und übrigens auch für Meinungen zu den meisten anderen Dingen, zu denen es ohnehin schon genug Meinung gibt und selten interessante. Das Leben ist nebenbei gar nicht kurz, das ist Unsinn, aber Sie wissen eh, was ich meine.])

Und diese unfassbaren Titelbilder in jedem Kiosk auch in der schwäbischsten Provinz, das allein ist lustiger als ein halber Jahrgang zusammengeschlauter taz-Witzeleien. I’m a man of simple pleasures.

Also, DER FREUND, abschließend: Schon sehr gut.

Link | 30. Juli 2006, 19 Uhr 50