Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Ein weiterer Grund, warum ich manchmal das Neon aufmache, wenn es ausliegt, also ein weiterer Grund neben meinem angeblich anthropologischen Interesse, das aber wahrscheinlich nur die Haltung des alten Sacks ist, der sich ans Fenster zum Hof setzt, um die fußballspielenden Jungs zu hören, die ihn stören, ist wohl einfach: Hoffnung. Das ist wahrhaft ein noch dümmlicherer Grund als der erste.

Hoffnung? Ja. Weil ich auf Nora Tschirner reinfalle. Die ist so schön und nett und war auf dem ersten Cover. Fräulein Tschirner ist per Vereinbarung die Gallionsfigur einer sympathischen jungen Kultur, die auch das Neon liest und zu der ich gerne gehört hätte. Das ist dumm, weil es nur die Vereinbarung gibt, nicht aber die Kultur. Wenn man das Heft aufmacht, findet man auch prompt: Üble bundesrepublikanische Mediensubkultur. Ein Königreich der Angst.

Nicht nur von kaum zu überbietender Vorhersehbarkeit in der Themenwahl, sondern auch immer interessant gemacht mit freundlich ausgesäter Unsicherheit. Vielleicht steht in diesem Text ja, was mit mir nicht in Ordnung ist, es sieht so aus, als könnt‘ ich doch was übersehen haben. Ich sollte lieber nachsehen. Frauen wollen nämlich dies, mit Männern hingegen ist es so. Beim Sex ist wichtig weil, 27% sagen aber daß. Schlimmstes Geschlechtsgeschwätz, immer frisch und locker, bieder und mit Bild.

Mediensubkultur. Ohne Interesse für irgendwas, im Zweifel über Moritz Bleibtreu schreibend. Feuchter Traum der Quatschfachabsolventen. Politbüro des Unpolitischen. Phrasendruschmotor der Stagnation.

Geschmäcklerisches Verkriechen in kuscheligen Indie-Welten ist vorbei.
Was es braucht, ist eine neue, politische Pop- und Kulturkritik.

Vielleicht. Wobei das Verkriechen das Problem war und ist. Kuschelige Indie-Welten sind uneingeschränkt positiv zu bewerten. Gerade die Indie-Kuscheligkeit könnte zu der Grundlage neuer Sicherheiten werden.

Eine neue politische Kulturkritik müsste aus einer Haltung heraus agieren, die ich noch nicht erkennen kann. Sie könnte auch nur funktionieren, wenn sie früh ihr Verhältnis zum Geld klärte. Denn daß Politik bedeute, Geld hie- oder dafür zu fordern (oder zu verteilen), dies tiefsitzende Mißverständis müsste zuallererst ausgerottet werden, und schon das wäre harte Arbeit. Und sie müsste ein Bewusstsein für dynamische Systeme entwickeln: Nicht davon sprechen, wie die Dinge sind und wie man das findet, sondern davon, wo die Instabilitäten sich verstecken, wo die Trigger und Bifurkationen sein könnten.

[Übrigens wird sie nicht aus Berlin kommen, die neue Kritik. Man gefällt sich dort so darin, Köln den Rang abzulaufen, der Abstand ist doch längst dahin, und man bräuchte ihn, als Szene, denke ich.]

Link | 20. Dezember 2006, 4 Uhr 51