Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Es sah aus, wie es eben aussieht in seit Jahren brach liegenden Büroflächen: Am Teppichboden war zu erkennen, wo die Tische gestanden und die ungeschickten Kaffeetrinker gesessen hatten, Kabel hingen aus Schächten und quollen aus Bodentanks, Uhren waren an den Wänden irgendwann stehen geblieben. Eine große Hängeregistratur, zu groß und altmodisch, um noch einmal umgezogen zu werden, füllte eine Ecke des riesigen Raums, der nach Staub roch und in dem nichts mobiles mehr zu sehen war als ein einzelner lehnenloser Bürodrehstuhl mit schadhaftem Polster, auf dem ein leerer Aktenordner lag.

Es gab sechs von diesen Stockwerken, alle mehr oder weniger in diesem Zustand bislang. Mein Gastgeber, der das Haus vor nicht allzulanger Zeit gekauft hatte, hielt die Tür in die traurig beleuchtete Damentoilette auf.
Er ist zwei Jahre jünger als ich, hat die übliche McKinsey-dann-VC-Karriere hinter sich und spielt eine halbironische Herrenmenschenrolle: Blondhaar im 20er-Jahre-Scheitelschnitt, aufrechte Körperhaltung, Eisblick, adliger Nachname (und „Waldo“ vorn) — die schwarze Totenkopf-Uniform muß man sich dazudenken, sonst nicht viel. Seine Mitarbeiter hatten genug Angst vor ihm, um die Stirn in Falten zu legen und einen besorgten Blick in seine Richtung zu werfen, wenn ich etwas äußerte, was ihm mißfallen würde — nicht daß ich sie dabei erwischt hätte, es war nur eine Stimmung im Raum, als würden sie so etwas tun.

Das Haus bestand aus zwei Türmen und einem gemeinsamen Foyer. Im linken, schon sanierten, waren die Büros von Fonds und Familie eingerichtet, im rechten sollten kleinere Flächen für Portfoliofirmen entstehen. Aus dem ersten Stockwerk jedes der Türme erreichte man über eine geschwungene, großzügig flache Freitreppe das Foyer, das unregelmäßig mit grün irisierenden Granitplatten ausgelegt und mit farbigem Glas dekoriert war: erstklassige, menschenleer unter den Leuchtern liegende DDR-Moderne.
Eine Behörde war es einmal gewesen, am Rand von Berlin, umgeben von Wiesen schon und einem Parkplatz mit verbogener Schranke, zwei Bagger darauf, die lange nicht bewegt worden waren. In den Büros des Fonds, in denen wir über Zahlen und Aussichten sprachen: teure Hölzer, gut geplantes Licht, Haustechnik von Busch-Jäger, Sofas, Kunst, Sauberkeit: Das unverkennbare Profil von beiläufig hohe Standards haltendem Geld.

Ein geselliger Teil — sag Waldo bitte — folgte. Hinter einer Doppeltür unter blauen und roten Glassteinen führte aus dem Foyer ein abschüssiger Tunnel in die Erde hinein, halbrund, breit genug für sechs oder sieben Leute; unregelmäßig, mit gebrochenem weißem Kalkstein verkleidet (oder aus Kalkstein herausgeschlagen?) auch auf dem Fußboden, so daß man achtgeben musste, nicht zu stolpern. Hell erleuchtet von gleißenden LED-Paneelen. Zweihundert Schritte vielleicht ging es schnurgerade abwärts, dann kam ein Gelenk, und man ging denselben Weg, mit demselben Gefälle, in Gegenrichtung zurück und weiter abwärts, wohl bis unter das Haus. Dort lag: Eine weite Halle, Restaurant oder Kantine, und, einen halben Meter tiefer gesetzt: Barbereich, flache Sessel, blau funkelnde Drinks im Halbdunkel, ein Ladytron-Song, die besorgten unsichtbaren Blicke seiner Entourage. Eines Tages würde hier ein Vertrag liegen unter einem Füllfederhalter. Ich war mir nicht sicher, aber sicher ist man sich ja nie.

Link | 15. Januar 2017, 17 Uhr 47 | Kommentare (3)


3 Comments


Schreiben Sie bitte endlich einen Roman.

Kommentar by J. | 21:37




Den gibt es, ich bin nur am Lektoriertwerden gescheitert.
Manchmal verliert man.

Kommentar by spalanzani | 15:05




hach rv <3

Kommentar by ky | 21:54