Vigilien

is there any any? nowhere known some?

Nach ein paar Terminen und einer hübschen Reihe von gemachten oder grade so vermiedenen Fehlern fühle ich mich in der Lage, folgendes Zwischenfazit zu ziehen, eine zehnpunktige Howto:

Wie man bestimmt kein Kapital für ein Startup bekommt
.

  1. Ideen verkaufen.
    Niemand interessiert sich für Ideen. Was man Kapitalgebern verkauft, ist ein Geschäftsmodell und nichts sonst. Wer versucht, Ideen (im Plural) zu verkaufen, hat vermutlich noch mehr davon – und die Dinger stören beim Sichern der Investition, solange die Firma nicht eine ansehnliche Größe erreicht hat. Ideen (im Plural) sind für Großunternehmen, die können sich diesen riskanten Luxus leisten. Startups haben in den ersten Jahren genau eine Idee: Ihr Geschäftsmodell.
  2. An das Geschäft glauben.
    Gründer neigen dazu, sich selbst zu überzeugen und ein Geschäft verkaufen zu wollen. Natürlich muß bei jeder einzelnen Präsentation klar sein, daß es nur so und genau so gehen wird. Allerdings sollte sich das, was nur so gehen wird, je nach Gegenüber ändern. Der Trick wäre, den Businessplan nicht nach einem Gespräch mit einem potentiellen Investor daran anzupassen, was er erwartet hätte, sondern vorher. Sonst ist man immer mit dem Businessplan für den vorherigen Investor beim nächsten.
  3. Niemand sein.
    Es lässt sich nicht vermeiden manchmal, aber es ist ein massives Problem, niemand zu sein. Es ist das Problem überhaupt. Absolventen und frisch Promovierte machen keine guten Teams. Die Investoren halten solche Teams für smart, sympathisch und angenehm, aber für vollkommen ungeeignet. Ohne einen im Team, der mindestens schon eine Firma in den Sand gesetzt hat, sollte man gar nicht anfangen. Investorengespräche sind keine Bewerbungsgespräche. Man muß sein Gegenüber nicht von sich überzeugen, sondern von einer möglichen Company, also gewissermaßen einer abstrakten Persönlichkeit.
  4. Ein schwaches Produkt haben.
    Geldgeber glauben bei Startups nur an Produkte oder Dienstleistungen, wenn sie extrem simpel, übersichtlich oder im Prinzip schon fertig sind. Das Wort Risikokapital bedeutet nicht: Jemand will das Risiko für ein (noch) schwaches, also komplexes oder nicht fertiges Produkt tragen, weil die Aussichten hinterher gut sind. Risikokapital heißt: Keine Sicherheiten — sonst gar nichts.
  5. Offene Abhängigkeiten.
    Private Geldgeber und Seed-VCs glauben nicht an kommende Märkte. Auch hier sind sie von einer (vernünftigen) Feigheit. Wenn während der Entwicklung der Company noch zwei Sachen in den Märkten passieren müssen für den Erfolg des Vorhabens, sind das zwei Fragezeichen zu viel — auch wenn diese beiden Sachen mit großer Wahrscheinlichkeit passieren werden und der Geldgeber das auch einsieht. Für sein Geld ist das immer noch zu riskant.
  6. Die gängigen Zahlen nicht kennen.
    Wer zu klein denkt, ist ein Krämer; wer zu groß denkt, insbesondere, wenn er niemand ist, hat kein Gefühl für Realität und Maßstäbe und kennt sich nicht aus auf dem Kapitalmarkt — taugt also in keinem Fall nicht zum Entrepreneur. Was die richtigen Zahlen sind, hängt allerdings (siehe 2.) stark davon ab, bei wem man vorspricht. Grundsätzlich gilt: Je näher an der VC-Szene jemand ist, desto weniger glaubt er an die Aussichten kleiner Investments auch bei Seed-Vorhaben. Private Investoren mögen kleine Investments dagegen gerne. In jedem Fall gilt für IT, daß die 5-Jahres-Aussichten Umsätze im niedrig zweistelligen Millionenbereich vorsehen sollten, das ist so der Korridor zwischen den Sachen, die nicht lukrativ genug sind und solchen, die keiner glaubt. (Bei Life Sciences alle Zahlen immer mal zehn, scheint mir, aber davon verstehe ich nichts.)
  7. Den Mißerfolg mitverkaufen.
    Wer über den Wert der Konkursmasse redet, ist raus. Wer auch nur über einen Plan B redet, ist raus. Wer vorrechnet, was man als zweitbester im Markt verdienen könnte, ist raus. No-no.
  8. Zu schnell sein.
    Märkte sind immer langsamer als man denkt. Egal wie dynamisch High-Tech auch sein mag, man hat genug Zeit. Selbst wenn die ersten Konkurrenten schon da sind, beweist das nur, daß der Markt interessant ist — man hat ja (Siehe Punkt 4) ohnehin das beste Produkt. Geschäftsmodelle, die auf Tempo beruhen, mag niemand. Und wer seine Kontakte zu früh verballert, steht im schlimmsten Fall ohne da, wenn es ernst wird, oder muß seine frühen Fehler ausbügeln.
  9. Bluffen, lavieren, Schwächen ansprechen.
    Alles falsch. Der Trick ist, keine Schwächen zu haben. Alles andere funktioniert nicht. Wer Schwachstellen hat, repariert die vor dem Gang zum Kapitalgeber. Es gibt keine Punkte für Unverschämtheit und keine für Offenheit und keine für Smartheit. Niemand muß sich um dich kümmern. Smarte Typen gibt’s massenhaft, Investoren suchen genau das Team smarter Typen, das alle Probleme bereits vom Tisch hat und das wirklich nur noch etwas Geld braucht. Hands-On-Investment-Versprechen hin oder her: Attraktiv ist vor allem ein Geschäft, bei dem die Hände in den Taschen bleiben und das Geld festhalten können.
  10. Schlecht auftreten.
    Wer bisher vor allem Umgang mit Uni-Volk, Künstlern, Klempnern und anderen Karohemdträgern hatte, findet sich in Kapitalistenkreisen vor subtilen habituellen Hürden, und die Unsicherheit darob verschlimmert die Lage noch. Aber, ausdrücklich: Der Punkt ist überschätzt. Die unmöglichsten Typen kriegen Geld, wenn das Produkt taugt und das Geschäftsmodell stimmt, und die lockersten, bestvernetzten Leute gehen leer aus, wenn sie versuchen, Mist zu verkaufen.

[Stand der Dinge, Update: Nicht so schlecht. Fest steht: Jemand wird dieses Geschäft machen, darin sind sich fast alle einig; auch, daß es in den nächsten Monaten und Jahren passieren wird, auch daß es in ungefähr dieser Art und Weise passieren wird. Man ist sich ebenfalls einig, daß wir hip & helle und alles sind, aber, es bleibt dabei: Vertriebsschwäche im Team und noch kein Verlag an der Hand — was nur daran liegt, daß wir da lieber mit ein bisschen Geld angefangen hätten als ganz ohne, aber so herum scheint es nicht zu laufen. Kriegen wir hin, dauert aber. Gute Vetriebsleute dagegen sind selten, und wir brauchen auch noch einen, der kein Penner ist.]

Link | 28. Mai 2006, 14 Uhr 55


  1. Klar der Ruf einer Dampflokomotive über der Stadt, zweimal hintereinander, im beginnenden Regen.
  2. Eine weiße Blechtür zwischen jungem Laub, ein gerahmtes Transporterheck, furchteinflößend, banal, dicke Tropfen im 45°-Winkel davor hin.
  3. Die sanfte Leere all dieser Situationen, Stimmungen und Stilleben.
  4. Das Haus zittert über der U-Bahn; die Betonplatten haben sich aber aneinander gewöhnt.
  5. Fast dunkel ist es, und Zeit hat dieser Regen keine, ein Granitsims, abblätternde Farbe, altes Glas, junge Bäume, es könnte auch ’82 sein.
  6. In der Zeit nach der Elektrizität? In der Zeit nach der Elektrizität…?
  7. Eine mögliche Karriere ist fast ein Hindernis, ihre Tatsächlichkeit oder Unmöglichkeit muß erst erwiesen werden, bevor wieder frei gehandelt werden kann.
  8. Die Gewalt von 16 Horsepower, die ich liebe schon wegen der energetischen Geschichte, über die ich zu ihr kam; und weil es Eisenbahnmusik ist, gemacht für lange fiebrige Nächte in halbdunklen, herumgestoßenen Waggons, übermüdet und glücklich, verschwitzt, im Gespräch.
  9. Im Haus unter mir wohnen die Hartz-IV-ler, ich bewohne das Hartz-IV-Penthouse. Es ist nur die Instabilität, die mich abschreckt, wenn ich mich in ihre Situation denke, nur die Instabilität, 50 Jahre Leben vor mir, die eigenen Kräfte aufzugeben scheint zwar wohl möglich, aber doch vorschnell, 2056 ist eine gefährliche Zeit.
  10. Passiv werden… oder die Stadt verlassen…

[Qubit-Zustand!]

Link | 27. Mai 2006, 18 Uhr 25


Manchmal ist es ein Problem, daß Bücher so lange dauern. Zum Beispiel hätte ich gerade sehr gern den state of mind, den Gaddis‘ Erlöser verursachen, wirklich, aber das krieg‘ ich nicht mehr hin vor dem Einschlafen, verdammtnochmal, nie und nimmer, und es gibt keine Abkürzung, auf Deutsch 318 Seiten, so oder gar nicht, das ist ein Skandal.

Link | 26. Mai 2006, 22 Uhr 55 | Kommentare (4)


Und dann war da noch… der sandige Thrill des Microfiche-Lesens.

Link | 24. Mai 2006, 1 Uhr 21


Heute: Stern TV Reportage. Berliner Friseusen dürfen zum ersten mal in ihrem Leben auf eine Luxusyacht in Monaco. Müssen zwanzig mal aufsagen, was eine Tankfüllung in Monatslöhnen kostet. Sind frech im Luxus-Juwelierladen und dürfen eine 300k-Kette umhängen (nur gut, daß der Juwelier die Kamera nicht bemerkt hat, die die beiden von innen durchs Schaufenster filmt.) Offstimme peitscht Zahlen ein, das ist Luxus, da geht es um Euro Euro, Monatslohn, Euro, Tankfüllung, Suiten (Luxus), Superreiche, aber die Berliner Friseusen kommen aus Kleinmachnow und verdienen 600 Euro, und könnt ihr damit große Sprünge machen? — Der Kapitän eines Superreichen (der hält sich einen Kapitän) lädt sie ein aufs Boot (Luxus, Euro); die Friseusen, die überdeutlich alle zwei Minuten Friseurinnen genannt werden, dürfen auch mal Luxus schnuppern. Vuittonscheißdreck natürlich im Bild, sie sagen es auch nochmal deutlich. Musste nur zur rechten Zeit am rechten Ort sein, sagen die Friseusen, als sie sich auf das Sofa des Yachtbesitzers setzen dürfen, Frechheit siegt nämlich (Berliner Schnauze), und dann müssen sie nochmal feststellen, daß hier die Superreichen (exklusiv!) echt leben und dann filmt ihnen Stern TV unter den Rock. Und später dürfen sie in ein Haus rein, sie sehen hier puren Luxus, sagen sie, und kriegen ein Glas echten Champagner vom Makler und staunen in die Kamera, wie einfach das war, hier hereinzukommen, einfach fragen, Wahnsinn sagen sie, verloren im riesigen Salon eines Superreichen, mit ihrem Gläschen Champagner; allein mit dem Gläschen Champagner und der Kamera von Stern TV.

[Wer bezahlt das? Wer bezahlt das? Ich will, daß der Hurensohn schmort.]

Link | 23. Mai 2006, 20 Uhr 58 | Kommentare (2)


Wer arbeitet, kann nicht erzählen, so viel steht fest, es schließt sich aus. Erzählung ist (als Sinnstiftung) eine Funktion der Muße. Wer arbeitet, kann sich nur ärgern, der Ärger ist die Geistesgrundhaltung des arbeitenden Menschen, durchaus nicht immer zu Unrecht, es ist nur: Gleichgültigkeit gegenüber dem Ärgernis erfordert eine Deutungsoffenheit, die nur dem schweifenden, nicht fokussierten Denken zugänglich ist.

[Will sagen: Daß mir das Getue um diese popjakobinischen Hamburger Zahnarztsöhnchen in Supermankostümen so auf den Sack geht, liegt vermutlich nur daran, daß ich nicht zum Faulsein komme.]

Link | 22. Mai 2006, 23 Uhr 17 | Kommentare (2)


Schauen Sie sich „The fabulous life“ auf VIVA an. Wirklich.

Link | 22. Mai 2006, 21 Uhr 12


Sofort aufzugfreie antimoderne Riesenbauten imaginiert, von wurmigen Gängen durchzogen, unsinnige Zwischengeschosse einwerfend wo kein Platz sein sollte; zwei Stufen und ein Absatz überall, lange Umgehungstreppen von ganz oben nach fast ganz unten, prächtige Aufgänge, die auf völlig türfreie Emporen führen etc.

Link | 20. Mai 2006, 15 Uhr 51


Bargfeld.
Oder eine Stadt, die wie ein Cohen-Song ist.
Oder die Stadt aus der Grasharfe.
Das Amerika der wilden Palmen.

[Orte für Charaktere]

Link | 20. Mai 2006, 1 Uhr 09


Mit der Formgewißheit eines Gummiballs gilt es die habituellen Deformationen auszuschwingen. Die biopolitische Bedeutung von guter Musik oder Literatur kommt eben nicht aus Aussagen, sondern eher aus dem Akt der spezifischen Wahrnehmung, aus dem notwendigen Modus der Aufnahme. Wenn es gut ist, zwingst du dich damit aus den Zwängen.

Das Denken des sich tatsächlich mehren-wollenden Kapitals ist wesentlich unterkomplex. Ein paar wenige bewertete Unterscheidungen immunisieren dieses Denken; Theorie/Praxis ist eine nicht unwesentliche davon. Theoriefähigkeit, Elastizität und Zeitautonomie des Einzelnen (also seine Intelligenz) sind geradezu unheimliche Fremdkörper im Denken des Geldes. Wenn man unter den Organen des Kapitals Menschen begegnet, bei denen man sofort weiß: brain, dann hat man mit großer Wahrscheinlichkeit einen der Hohepriester, Senior oder Partner, vor sich. Diese Leute, die sowohl hochintelligent als auch Kapitalorgane sind, gehören ausnahmslos zu einem einzigen Typus: Dem der schlaksig-eleganten, agilen, extrem schnellen, alterslosen Grauschöpfe. Der Strom, unter dem sie stehen, hebt sie aus ihrem Zigarren-zelebrierenden Umfeld heraus. Sie sind die einzigen wirklichen Postmaterialisten im Kapitalgeschäft, sie sind reiner Wille zur Macht, sie wirken aus reiner Freude an der Wirkung.

Es gibt übrigens auch keine natürliche Partnerschaft zwischen Management und Kapital. Management ist strategisches Wirken, gegen die Virulenz von Ideen auf der einen und gegen die unterkomplexe Zwanghaftigkeit und Furcht des Kapitals auf der anderen Seite, also: Moderation extremer Kräfte.

Link | 19. Mai 2006, 13 Uhr 26


Nächste Seite »