shhhh, shhhh.

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ALS ER DIE VERKLEBTEN LIDER wieder öffnete, war es immer noch schwarz. Hier unten gab es für menschliche Augen nichts zu sehen. Aber sein Gehör funktionierte noch ausgezeichnet, es kam Mücke sogar so vor, als hätte es der Schlag an seinen Kopf noch etwas verbessert. Da war ein leises Säuseln, das die Luft verursachte, die durch die Schächte und Gänge nach oben strömte. Da war ein dunkles Ächzen, das von den alten, eingemauerten Rohren stammte, durch die immer noch etwas Wasser tropfte und die sich durch den Frost und die Temperaturunterschiede zusammenzogen oder ausdehnten. Und da war das vielfüßige Getrappel der kleinen Rattenbeinchen, schnell und leise. Sie hatten ihn natürlich schon längst entdeckt, hilflos wie er war.

Die Nager waren neugierig und hungrig und sie kamen immer näher. Wenn er sich etwas bewegte und seine Kleidung knisterte, stoppten sie. Verharrte er, warteten sie noch eine Weile, dann kamen sie noch etwas weiter heran. Mücke war sicher, dass sie ihn, wenn er schwach genug war, bei lebendigen Leibe anknabbern würden. Zu seinem Erstaunen fand er die Vorstellung gar nicht so schlimm, er versetzte sich einfach in die Lage der Tiere und die war seiner eigenen gar nicht so unähnlich. Oben herrschten die Kranken, dort hatten die armen Viecher nichts mehr zu melden. Ja, als die Menschen noch gesund waren, da hatten sie wie die Könige gelebt. All die Abfälle, die Abwässer, die Mülltonnen und Essensreste einer Großstadt. Sie mussten sich nur an ein paar Regeln halten, ein wenig vorsichtig sein und unentdeckt zuschlagen. Das war jetzt vorbei. Jetzt waren sie die Gejagten und der schier unendliche Strom der Nahrungsmittel war endgültig versiegt.

Freilich. Der große Kampf um Berlin war wie ein letzter, fetter Leichenschmaus für die flinken Vierbeiner gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber irgendwann war auch der letzte Knochen abgenagt und das letzte Stückchen Haut vertrocknet. Die Untoten schmeckten nicht, sie waren ungenießbar und manchmal sogar giftig. Ihr Fleisch war zäh und faul, das Blut war schwarz und ätzend. Das Ende der Menschen war auch ein Drama für die Ratten, zu sehr hatten sie in den letzten tausenden von Jahren ihr Schicksal mit dem der Zweibeiner verknüpft. Millionen und Abermillionen mussten inzwischen verhungert und verstorben sein und wenn sie nicht aufpassten, wurden sie selbst zu Gejagten, zu einem leckeren Snack to go. Denn die Zombies fraßen alles, was sie zwischen die knöcherigen Finger und Zähne bekamen, ohne Unterschied. Ja, ihr eigener Hunger zwang sie sogar dazu, das Moos von den U-Bahn Wänden zu schaben, Mücke hatte es im Bunker selbst beobachtet, durch die Aufnahmen der Überwachungskameras. So gesehen, war er jetzt ein Festtagsbraten für die Kleinen. Er war noch nicht richtig durch, er war noch nicht fertig, er war noch zu lebendig. Aber sie konnten seinen Duft schon riechen und brachten sich in Position. Er würde genug Nahrung für einen kleine Rattenfamilie bieten, es war nicht viel an ihm dran, den er war klein, sehnig und mager. Aber für sie war er genug, er war ein Glückstreffer, von dem man sich wochen-, vielleicht sogar monatelang gut ernähren konnte.

„Shhh“, machte er. „Shhhh.“

(Zombifiziert, Drittes Buch, Band 12)