der Anfang vom Ende

[DAVOR]

Johann Zucker blieb stehen. Er starrte über die blassen, hartgefrorenen Äcker, die im Morgengrauen so still und lautlos hinter den vor Wochen so eilig hochgezogenen Baracken und Ställen lagen, als wollten sie ihm sagen, dass dieser russische Winter noch lange nicht vorbei war. Es war der Morgen des 18. Novembers 1942. Der junge Leutnant hatte schlecht geschlafen und fühlte sich unruhig, die letzten Meldungen aus der Funkstube verhießen nichts Gutes. Im gesamten Frontabschnitt vor Donezk gab es immer wieder kleinere Gefechte, meist harmlose Provokationen mit kurzen Schusswechseln und ein paar Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Das musste nichts bedeuten, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sich etwas Übles über ihnen zusammenbraute. Im Krieg fühlte man sich immer ein klein wenig unwohl in der Magengrube, egal wie viele Jahre man schon dabei war. Aber dieses Grummeln hatte eine andere Qualität.

Seit der Einkesselung von Stalingrad war den Kameraden in seinem kleinen Trupp klar, dass der Russe das Blatt jetzt mit aller Macht wenden wollte. Der Kriegseintritt der Amerikaner hatte dem Feind bessere Karten in die Hände gespielt. Und wenn ihn sein unheilvolles Gespür nicht trog, dann war der lange Siegesrausch der deutschen Wehrmacht mit den letzten Herbstblättern verflogen.

Der zähe Schlamm, die schwarzen, blutsaugenden Fliegenschwärme, das schlechte, schwer verdauliche Essen und der nun seit Wochen andauernde, unerbittliche Frost hatten die Männer angefressen. Jetzt befanden sie sich in einer Phase der Zermürbung. Sie ahnten nun, was sie in diesem weiten, in seiner Größe unerbittlich und stumm ruhenden Land erwartete. Die, von der deutschen Propaganda genährte Hoffnung, heil und glorreich aus diesem Krieg zurück nach Hause zu kommen, zu ihren Familien, den Freunden,  zu Frau und Kindern, schwand. Sie verflüchtigte sich mit jedem Atemwölkchen, das in diesem Moment, in dem er es dachte, über den Stellungen, Gräben und Bunkern der Ostfront  hunderttausendfach in die eiskalte Nachtluft aufstieg. Es war Johann, als könne er das dabei ausgeatmete Kohlendioxid spüren, es war wie eine schwarze Energie, die über allem hier hing, wie ein Schleier aus Angst. Dieser Stoff war dichtgewebt, wie ein, bereits um den Körper gespanntes Leichentuch.

Er war ein Teil davon.  

(Zombifiziert, Band 13)     

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die Zukunft dieser Erde

Die Vorzeichen hatten sich gewendet, die Gegenwart war zum Traum geworden. Ein Albtraum, um genau zu sein, der ihm allerdings keine Flucht mehr bot, sondern nur eine ungeahnte Vitalität, Verderben und Untergang. Was blieb ihm, Felix, dem Träumer, denn nun übrig? Musste er für immer aufwachen? Oder von einer Vergangenheit träumen, die ihm im Grunde seines Herzens schal und öde erschien?

Unwillkürlich musste er lachen. Das war Selbstbetrug! Felix unterdrückte den Impuls, sein Körper krümmte sich und für eine Sekunde schaute er nicht nach draußen, sondern zurück. Eva sah zu ihm, sie machte ein Zeichen mit der Hand, dass wohl so viel bedeuten sollte: Was tust du da?

Willst du uns alle umbringen?

Aber das amüsierte Felix nur noch mehr, eine irrationale, verrückte Laune durchströmte ihn. Es war, als hätte man einen Eimer Wasser auf den Boden geschüttet, es breitete sich unaufhaltsam aus, er wollte einfach losbrüllen vor Freude, einfach bloß aufstehen und laut lachen und dabei laut rufen: Was soll die ganze Scheiße, seht ihr denn nicht, wie absurd das Ganze ist? WIR sind gesund und munter und DIE DA draußen sind Schrott, der letzte Mist, ein Haufen wildes, verfaultes Fleisch, dass sich über kurz oder lang in seine biologischen Bestandteile zerlegen und für immer auslöschen wird. Die können uns nichts, die können uns mal, das ist nur menschlicher Müll, ein missglücktes Experiment von Missgeburten, so dumm wie Schmeißfliegen oder Ameisen, das ist niemals die Zukunft dieser Erde, sondern nur ein Zwischenspiel, ein Treppenwitz, eine weißer Fleck in der Landkarte, wie der Meteorit, der angeblich die Dinosaurier ausgelöscht hatte und dessen Reste nie gefunden wurden.

(Zombifiziert, Drittes Buch, Band 12)

shhhh, shhhh.

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ALS ER DIE VERKLEBTEN LIDER wieder öffnete, war es immer noch schwarz. Hier unten gab es für menschliche Augen nichts zu sehen. Aber sein Gehör funktionierte noch ausgezeichnet, es kam Mücke sogar so vor, als hätte es der Schlag an seinen Kopf noch etwas verbessert. Da war ein leises Säuseln, das die Luft verursachte, die durch die Schächte und Gänge nach oben strömte. Da war ein dunkles Ächzen, das von den alten, eingemauerten Rohren stammte, durch die immer noch etwas Wasser tropfte und die sich durch den Frost und die Temperaturunterschiede zusammenzogen oder ausdehnten. Und da war das vielfüßige Getrappel der kleinen Rattenbeinchen, schnell und leise. Sie hatten ihn natürlich schon längst entdeckt, hilflos wie er war.

Die Nager waren neugierig und hungrig und sie kamen immer näher. Wenn er sich etwas bewegte und seine Kleidung knisterte, stoppten sie. Verharrte er, warteten sie noch eine Weile, dann kamen sie noch etwas weiter heran. Mücke war sicher, dass sie ihn, wenn er schwach genug war, bei lebendigen Leibe anknabbern würden. Zu seinem Erstaunen fand er die Vorstellung gar nicht so schlimm, er versetzte sich einfach in die Lage der Tiere und die war seiner eigenen gar nicht so unähnlich. Oben herrschten die Kranken, dort hatten die armen Viecher nichts mehr zu melden. Ja, als die Menschen noch gesund waren, da hatten sie wie die Könige gelebt. All die Abfälle, die Abwässer, die Mülltonnen und Essensreste einer Großstadt. Sie mussten sich nur an ein paar Regeln halten, ein wenig vorsichtig sein und unentdeckt zuschlagen. Das war jetzt vorbei. Jetzt waren sie die Gejagten und der schier unendliche Strom der Nahrungsmittel war endgültig versiegt.

Freilich. Der große Kampf um Berlin war wie ein letzter, fetter Leichenschmaus für die flinken Vierbeiner gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber irgendwann war auch der letzte Knochen abgenagt und das letzte Stückchen Haut vertrocknet. Die Untoten schmeckten nicht, sie waren ungenießbar und manchmal sogar giftig. Ihr Fleisch war zäh und faul, das Blut war schwarz und ätzend. Das Ende der Menschen war auch ein Drama für die Ratten, zu sehr hatten sie in den letzten tausenden von Jahren ihr Schicksal mit dem der Zweibeiner verknüpft. Millionen und Abermillionen mussten inzwischen verhungert und verstorben sein und wenn sie nicht aufpassten, wurden sie selbst zu Gejagten, zu einem leckeren Snack to go. Denn die Zombies fraßen alles, was sie zwischen die knöcherigen Finger und Zähne bekamen, ohne Unterschied. Ja, ihr eigener Hunger zwang sie sogar dazu, das Moos von den U-Bahn Wänden zu schaben, Mücke hatte es im Bunker selbst beobachtet, durch die Aufnahmen der Überwachungskameras. So gesehen, war er jetzt ein Festtagsbraten für die Kleinen. Er war noch nicht richtig durch, er war noch nicht fertig, er war noch zu lebendig. Aber sie konnten seinen Duft schon riechen und brachten sich in Position. Er würde genug Nahrung für einen kleine Rattenfamilie bieten, es war nicht viel an ihm dran, den er war klein, sehnig und mager. Aber für sie war er genug, er war ein Glückstreffer, von dem man sich wochen-, vielleicht sogar monatelang gut ernähren konnte.

„Shhh“, machte er. „Shhhh.“

(Zombifiziert, Drittes Buch, Band 12)

so sag

DU BIST dein eigener Gast, hast

angerichtet, abgegessen, jetzt

bei Wein und Licht, so red doch

sag: Zuhaus. Und daß dich etwas

hält, daß du nicht fallen kannst

so sag doch: Ich

 

So trink

und lob den Wein, das Wetter

und die Früchte auf dem Tisch

und weil du nicht

verstümmelt bist, den Beischlaf

und den eignen Leib

 

so sag 

ich liebe diese Einsamkeit

und die Schwärze hinterm Fensterkreuz

die pralle Schöpfung

wie das unbegriffene Nichts die

Schwermut

und den Tanz des Staubs im Licht.

(Andreas Ehl, „So weit, so gut.“ 1982-1995)

Das war der Plan

„Die Toten sind unendlich einsame Geschöpfe, es gibt keinen Zusammenhalt unter ihnen, sie werden alleine geboren, sterben und werden auch alleine wiedergeboren.“

 (Christian Kracht, Die Toten)

DER SOMMER WAR schon lange vorbei, auch der Herbst ging zu Ende und der Kontinent wartete auf den Winter. Es war der erste nach der großen Katastrophe und niemand wusste, was er bringen würde. Die Infizierten, die die Herrschaft in wenigen, hart umkämpften Monaten an sich gerissen hatten, waren ein junges, dumpfes und vollkommen unberechenbares Volk. So waren auch ihre Gedanken. Sie wussten noch nicht, wer sie waren oder was sie wollten. Wie Milliarden von Frischgeborenen taumelten sie durch die gut erhaltenen Kulissen einer untergehenden Menschheit, die sich, mitten in ihrer gefühlten Größe und scheinbaren Unantastbarkeit jäh und brutal zu Boden geworfen sah. Die wenigen, noch über den Erdball verteilten Gesunden, waren freilich zutiefst traumatisiert. Sie kämpften jeden Tag ums nackte Überleben. Sie hausten in Kellern, Bunkern und in hermetisch abgeschlossenen Wohn- und Militärkomplexen, oft weit von den einstigen Stadtzentren der Zivilisation entfernt. Dort wurde mit den wenigen, verbliebenen technologischen und medizinischen Mitteln geforscht, experimentiert und getestet. Doch mit jedem Tag, mit jeder Woche und jedem Monat wurde es unwahrscheinlicher, dass ein Gegenmittel oder sogar ein Impfstoff gegen die grausame „deutsche“ Seuche gefunden wurde. Man war sich nicht einmal über ihren Ursprung sicher. Und während den Isolierten langsam die Zeit davon lief, die Nahrungsmittel knapp wurden und die Luftfilter immer öfter versagten, ließen sie ihren Ängsten und Hoffnungen freien Lauf. Besonders ein Gerücht machte die Runde. Es sprang wie ein Lauffeuer über die brüchige Kommunikationswege hinweg. Es besagte, dass es auch dort draußen, an der freien, frischen Luft Überlebende gäbe. Sie seien, einer bösartigen, ja hämischen Laune der Natur geschuldet, immun gegen das Virus, das fast die ganze Menschheit in kürzester Zeit in brabbelnde, gierige und hässlich anzuschauende Karikaturen verwandelt hatte. Es gab von ihnen nur Augenzeugenberichte, verwackelte Handyaufnahmen und unscharf gekörnte, tonlose Drohnenfilme. Aber sofort stürzten sich die gesunden Menschen auf diese bittere Krumme, als wäre es das letzte Stück Nahrung in einer langsam aber sicher vereisenden Wüste aus Tod, Verzweiflung und Kummer.

Sollte es gelingen, so das Gerücht, einen dieser Mutanten, wie man sie abfällig und gleichzeitig ehrfurchtsvoll nannte, lebend zu finden, gefangen zu nehmen und zu untersuchen – dann könnte dies die Rettung für die restliche, langsam aber sicher aussterbende Menschheit sein. Besonders große Angst hatte man gleichzeitig vor der Ausbreitung und Vervielfältigung dieser neuen, unheimlichen Spezies, die der alten und früher vorherrschenden auf einmal überlegen – weil besser an die neuen Umweltbedingungen angepasst – war.

Und so kam es, dass ein radikal denkender Teil der Gesunden eine Zeit lang mit allen verbliebenen militärischen Mitteln versuchte, frei umherziehende Gruppen von Toten und vielleicht auch Lebenden zu finden und zu vernichten, während andere, eher wissenschaftlich und zivil forschende Geister schon früh damit begannen, Hinweise und Muster in den chaotischen Berichten und lückenhaften Dossiers der Militärs und Überlebenden zu entdecken, um dann gut ausgerüstete und sorgfältig geplante Expeditionen in die Außenwelt zu schicken. Ihr Ziel war es, Kontakt aufzunehmen und eine fruchtbare Kommunikation aufzubauen, um dann, irgendwann, unter gesicherten Laborbedingungen, an einem möglichen, realistischen Fortbestand der eigenen Art zu basteln. Da man sich jedoch damit zunehmend in Konkurrenz zur Zeit und den schonungslosen und großflächig angewandten „Säuberungen“ befand, sah man sich gezwungen, mit einer radikalen, aber immer noch weltweit schlagkräftigen Bewegung zusammen zu arbeiten, die sich selbst den ironisch anmutenden Namen „Genius“ gegeben hatte. Der Anführer von Genius saß, wie konnte es anders sein, in den USA, in einem geheimen Labor unter dem futuristisch angelegten, ehemaligen Firmensitz von Apple, einem großen runden Kreis, der einmal wie ein glitzerndes Raumschiff von Außerirdischen gewirkt hatte und jetzt, nach einer mächtigen Explosion im Westteil, wie ein abgefressener alter Donut  aussah.

Unter Genius Ägide koordinierte man – da es keine funktionierenden Satelliten mehr gab –  mit einem ausgeklügelten, analogen System aus Funkbrücken die Aktivitäten der verbündeten Außenposten. Besonders wichtig waren dabei die letzten verbliebenen Stellungen in der alten Welt, die man nur noch sporadisch und über eine Kette von im Atlantik dahin dümpelnden Atom-U-Booten erreichen konnte. Bei dieser Art von stiller Post zwischen Amerika, Asien und Europa kam naturgemäß immer wieder zu Falschmeldungen, Irritationen und Fehlinterpretationen des Gesagten. Aber noch hielt die Verbindung, vor allem auch nach Berlin, wo sich die letzten Reste der deutschen Eliten (und Teile des amerikanischen Regierungsapparates) tief in den alten Bunkersystemen der Nachkriegszeit verschanzt hatten.

Dieser Kontakt war für Genius extrem wichtig, denn auch wenn sich die Seuche blitzartig über den Globus ausgebreitet hatte, so war ihr Ursprung doch ein deutscher gewesen. Aus der Bavarian Desease war, flux über die zusammenbrechende Medien verbreitet, das German Virus geworden, im amerikanischen Volks- und Facebook-Mund bald nur noch Bad Kraut genannt. Und nur wer, genetisch gesehen, möglichst nah an den Ground Zero, also die Wurzel dieses bösartigen Gewächses herankam, hatte nach Ansicht der amerikanischen Forschercrew auch die Chance, das seltene, mutierte, aber offensichtlich doch irgendwie resistente Genmaterial zu finden, zu isolieren und erfolgreich zu vernichten.

Das war der Plan.