Sie verließen die Berge, es ging in die Wüste hinunter, durchs Death Valley Richtung Las Vegas, das war der Plan. Draußen wurde es sehr schnell sehr heiß, Schilder am Straßenrand warnten davor, den Trip mit zu wenig Wasser und Treibstoff zu wagen. Sie füllten ihre Vorräte an einer Tankstelle auf, am Rande eines staubigen Städtchens, das im Grunde nur aus einer Hauptstraße mit abgeblätterten Werbetafeln bestand und früher oft als Filmkulisse herhalten musste. Ein alter Kerl an der Kasse trug seine Smith&Wesson am Gürtel, offen, wie ein Cowboy. Als Tim den Revolver sah, erschrak er. Er kam sich auf einmal nackt und wehrlos vor, wie ein armer, halbverhungerter Farmer aus einem billigen Western, der seine Familie nicht richtig beschützen konnte. Er dachte wieder an den unheimlichen Typen auf dem Indianerfriedhof, er konnte ihn einfach nicht vergessen. Er wusste, dass er nicht kräftig und stark genug war, um eine körperliche Auseinandersetzung zu bestehen. Er sah aus wie der Typ, der in einem James Bond Film die Computer hackt: die schmalen feingliedrigen Finger, das hagere Gesicht, die scharfe Nase und die Brille, umrahmt vom halblangen, pechschwarzen Haar, das er sauber gescheitelt trug. In diesem Land war er der Nerd. Ein eingebildetes Greenhorn, das mit einer wunderschönen jungen Frau unterwegs war, die er im Grunde nicht verdient hatte.
„Ich finde, wir sollten uns eine Waffe zulegen“, sagte er, als er den Motor wieder gestartet hatte.
Sofia hatte ihre Wanderschuhe und ihren Hoodie ausgezogen und ihre kleinen nackten Füße auf dem Armaturenbrett über dem Handschuhfach abgelegt. Tim sah, dass sie die Nägel frisch lackiert hatte, ein sattes Rot. Um ihren linken Knöchel trug sie wie stets eine feingliedrige Silberkette. Sie gähnte unverschämt.
„Warum denn?“
„Was für eine Frage. Zum Schutz natürlich.“
„Ich fühle mich sicher bei dir.“
Hitze. Sie zog in Schlieren über die schnurgerade bis zum Horizont reichende Fahrbahn. Überall schimmerten die Disteln wie Schuppen. Abends, das warme Strahlen des Sandbodens während einer Pause, das letzte Sonnenlicht pulste über die fernen, für immer schneebedeckten Berge. Postkarten, großes Kino, wo hin man auch sah. Sofia, zwischen den roten Felsen, wie ein wildes Indianermädchen. Sie musste pinkeln
„Pass auf wegen der Schlangen“, sagte Tim und biss in ein dreieckiges Fertigsandwich.
Die Nacht, die sie in ihrem kleinen Zelt auf dem Emigrant Campground direkt an der 190 verbrachten, war unvergesslich. Sie lagen lange wach, tranken warmes Bier und schauten staunend und flüsternd in den Wüstenhimmel, Seite an Seite. Tim kannte fast alle Sternenbilder und zeigte sie Sofia, sagte leise ihre Namen, Cassiopeia, Cepheus, Hercules. Dann kam ein kalter Wind auf. Er rüttelte so fest am dünnen Stoff, unter dem sie sich liebten, dass es sich anfühlte, als würden sie fortgetragen, auf einem Segelboot über das Meer, in ein viel zu hastig erfundenes Land. Der Morgen kam früh. Die Mesquite Flat Sand Dunes, große Wanderdünen aus schneeweißem Sand, ließen ihre Schuhsohlen schmelzen, jeder Schritt war anstrengend, mühsam. Ihre Glieder gebräunt, Sofias Schatten hatte die Konturen einer kleinen, exotischen Göttin, die schmalen Hüften, grazile Beine, der etwas zu groß geratene Kopf. Ihr Hintern zeigte sich nur, wenn sie ihren Rücken durchdrückte und einen Schluck aus der Wasserflasche nahm. Der heiße Wind kam über die Ebene zwischen den Bergen, die hier bereits zu abgeschliffenen Hügeln wurden. Selbst die Erde schien zu brennen, veränderte ihre Farbe, wie eine ewige, versteinerte Glut, in die der Teufel höchstpersönlich hineingeblasen hatte.