grail keeper

Das Alter bietet auf den ersten Blick wenig, aber doch die Chance auf Weisheit. Wie so viele andere Männer war ich mein Leben lang auf der Suche nach etwas, manche nannten es Sinn, ich nannte es (manchmal spöttisch, manchmal auch ehrfürchtig) den Heiligen Gral. Nicht, weil ich mich etwa für auserwählt hielt, nein, sondern weil mein erstes, vollständig selbst gelesenes Buch die „Nordischen Sagen“ hieß. Die Artus-Legende darin faszinierte mich als kleiner Junge sofort, ich fieberte mit den noblen Rittern und ihren zahllosen Abenteuern und bittersüßen Frauengeschichten. Lancelot, Tristan, Gawain – ich hätte alles getan, um an ihrer Seite zu sein, doch nur mit einem von ihnen identifizierte ich mich von Herzen: mit dem jungen Parzival. Irgendwie eine sehnsüchtige, romantische Type, ein schöner Unglücksrabe, verdammt zur schmerzhaften Suche nach etwas, das er bereits früh gefunden und dann auch gleich wieder verloren hatte, ohne es überhaupt finden oder verlieren zu wollen. Was war das, verdammt? Ein Ding, ein Gefühl, ein Schatz, die Liebe? Was hatte Parzival so Gewaltiges erfahren, dass es ihn nicht mehr los ließ?

„Der Gral war: Frucht der Seligkeit, / Füllhorn aller Erdensüße, / er reichte nah an das heran, / was man vom Himmelreich erzählt.“

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der Anfang vom Ende

[DAVOR]

Johann Zucker blieb stehen. Er starrte über die blassen, hartgefrorenen Äcker, die im Morgengrauen so still und lautlos hinter den vor Wochen so eilig hochgezogenen Baracken und Ställen lagen, als wollten sie ihm sagen, dass dieser russische Winter noch lange nicht vorbei war. Es war der Morgen des 18. Novembers 1942. Der junge Leutnant hatte schlecht geschlafen und fühlte sich unruhig, die letzten Meldungen aus der Funkstube verhießen nichts Gutes. Im gesamten Frontabschnitt vor Donezk gab es immer wieder kleinere Gefechte, meist harmlose Provokationen mit kurzen Schusswechseln und ein paar Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Das musste nichts bedeuten, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sich etwas Übles über ihnen zusammenbraute. Im Krieg fühlte man sich immer ein klein wenig unwohl in der Magengrube, egal wie viele Jahre man schon dabei war. Aber dieses Grummeln hatte eine andere Qualität.

Seit der Einkesselung von Stalingrad war den Kameraden in seinem kleinen Trupp klar, dass der Russe das Blatt jetzt mit aller Macht wenden wollte. Der Kriegseintritt der Amerikaner hatte dem Feind bessere Karten in die Hände gespielt. Und wenn ihn sein unheilvolles Gespür nicht trog, dann war der lange Siegesrausch der deutschen Wehrmacht mit den letzten Herbstblättern verflogen.

Der zähe Schlamm, die schwarzen, blutsaugenden Fliegenschwärme, das schlechte, schwer verdauliche Essen und der nun seit Wochen andauernde, unerbittliche Frost hatten die Männer angefressen. Jetzt befanden sie sich in einer Phase der Zermürbung. Sie ahnten nun, was sie in diesem weiten, in seiner Größe unerbittlich und stumm ruhenden Land erwartete. Die, von der deutschen Propaganda genährte Hoffnung, heil und glorreich aus diesem Krieg zurück nach Hause zu kommen, zu ihren Familien, den Freunden,  zu Frau und Kindern, schwand. Sie verflüchtigte sich mit jedem Atemwölkchen, das in diesem Moment, in dem er es dachte, über den Stellungen, Gräben und Bunkern der Ostfront  hunderttausendfach in die eiskalte Nachtluft aufstieg. Es war Johann, als könne er das dabei ausgeatmete Kohlendioxid spüren, es war wie eine schwarze Energie, die über allem hier hing, wie ein Schleier aus Angst. Dieser Stoff war dichtgewebt, wie ein, bereits um den Körper gespanntes Leichentuch.

Er war ein Teil davon.  

(Zombifiziert, Band 13)     

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ist doch schön hier

 

„Ist doch schön hier“, sagte Tomas und rieb sich die Hände, als müsse er sich wärmen. „Und jetzt gehen wir ein Bier holen. Nebenan ist ein Liquor Store, hab ich auf Google Maps gesehen.“

„Typisch“, sagte Sarah und schaute sich um. Die ganzen Koffer und Kisten machten den Raum noch etwas kleiner.

„Geht nur“, sagte Milla. „Sarah will sich sicher frisch machen und wir haben was zu besprechen.“

Tomas und ich verließen das Hotel. Wir liefen ein paar Meter die Hauptstraße runter. Der Himmel war blau, der Wind fegte Müll und Sand in die Ecken, die Luft roch salzig.

„Ich freu mich so auf Amerika“, sagte Tomas. „Und die Musik.“

„Liquor“, sagte ich, als wir zwischen den engen und  bis zur Decke gestapelten Gängen standen. „Ist ein lustiges Wort. Klingt wie Lecker, aber versaut.“

Tomas lachte.

„Liquor, Liquor. Lecker Bier und Schnaps saufen.“

Er streckte die Zunge in die Luft.

„Ich schmecke das Meer.“

Manchmal war alles was er tat irgendwie wollüstig. Keine Ahnung, ob er das wusste. Mit den braunen Papiertüten voll mit Dosensixpacks und zwei Flaschen Rotwein machten wir noch einen Abstecher zu einem kleinen Supermarkt auf der anderen Seite des Parkplatzes.

„Ich brauch was für den Kopf“, sagte Tomas. Er spitzte die Lippen und blies Luft aus.

Er fuhr sich mit der Hand über die stoppelkurzrasierte Glatze.

„Weißt du noch, letzten Sommer, beim Paddeln?“

„Ja, ich erinnere mich, das war übel.“

Ich weiß nicht warum, aber der Laden war irgendwie sehr schön. Es war eine Mischung aus Baumarkt und Lebensmittelgeschäft. Es gab jede Menge Zeug zu entdecken, die Regale quollen über von billigem Trash. An jeder Ecke stand etwas anderes, scheinbar ohne jede Ordnung und angeblich im Sonderangebot. Es waren nur wenige Kunden da und sie hatten genauso viel Zeit wie wir.

Ich blieb lange an einem Tisch mit Strandutensilien stehen. Ich wühlte darin herum und als ich wieder aufsah, war Tomas weitergegangen. Ich nahm einen Frisbee und eine Cap mit der Aufschrift Air-Force mit.

Als ich an der Kasse stand, wartete Tomas bereits vor der Tür. Er hatte sich eine Dose aufgemacht und trank aus der Tüte. Er sah gefährlich aus, etwas Animalisches umgab ihn.

„Magst du auch ein Bier?“

„Ja.“

„Warte.“

Ich riss das Preisschild von der Kappe und setzte sie auf.

„Steht dir“, sagte Tomas. „Die hätte ich auch gerne.“

„Okay.“

Ich ging zurück in den Laden und holte ihm genau die gleiche Mütze, nur eine Nummer größer.

„Schenk ich dir.“

Tomas setzte die Cap auch gleich auf, aber er ließ  bis zum Ende der Reise das Preisschild dran.

„Wie sehe ich aus?“, fragte er und schaute mich an, als wäre ich ein Spiegel.

„Brutal“, sagte ich.

*