dirty fourtythree

(Ähm. Ähm. Hüstel. Hüstel: Das ist also Ironie) [LAUT] „DIE DRECKSAU“ haut einem so schön direkt und verfickt ne Botschaft aus den 90ern in die Fresse, dass ich mich tatsächlich mal wieder dazu genötigt sehe, hier ne kleine Filmkritik an die Wand zu nageln. Ganz generell würde ich sagen: HALLO? Weicheier – also all die Pussis, Gartenzwerge, Fahrradfahrer und Veggydayliebhaber da draußen – können ganz schnell, ganz getrost zu Hause bleiben. Spart euch das Geld  für nen schicken Eyeliner von MaybellineJade oder nen OnlineRasierKlingenAbo von Mornin Glory. Die anderen Jungs sollten alle warten, bis sie männlich, solide alkohol- und sexerfahren und genau dreiundvierzig Jahre alt geworden sind. Außerdem mindestens eine Scheidung hinter sich und natürlich (als sie jung waren) Trainspotting von Danny Boyle/Irvine Welsh gesehen (und für ÜBER befunden) haben. SO. [LAUT AUS] Die Handlung kommt dann von Anfang an sauber links angetäuscht ganz locker von rechts daher. Ein runtergekommener Bulle kokst, säuft und hurt sich durch eine schottische Kleinstadt und kurz auch durch Hamburg und scheißt auf jeden und alles, der sich ihm (zufällig oder ganz bewusst) in den Weg stellt. Solche Filme sind ja eher selten geworden in der aktuellen Kinolandschaft. LEIDER. Und wunderschön ist es natürlich, wenn man den Helden (brilliant in Szene gesetzt von James McAvoy) vom ersten Moment an so richtig schön hasst – und am Ende einfach nur noch liebt. Denn Welsh hat hier ne ganz feine und komplexe Hintergrundstory gewebt. Das schöne Muster zeigt sich allerdings erst ganz am Schluss in seiner heterosexuellen Pracht. Dazwischen liegen einfach nur böse, dreckige und mitunter saugute Szenen, die einem die Nase und den Kopf mal durchpusten von dem Energie-, Internet-, Stromspar-, Lebelangundnachhaltig (undlassdichdabeinichtausspieonioieren) Dingsbums das uns diese müden Tage so verstopft. Jaja, ich hör ja schon auf.  [LEISE] Zieht! Euch! Das! Rein! (Hicks. Ironie an. Ähm. Ähm. Aus. Ihr wisst schon).

die frage wer aufhört

Die Catering Crew, sieben Frauen und Männer in bodenlangen weißen Schürzen mit der schwarz geschwungenen Aufschrift Contento, begann abzuräumen. S. war nicht mehr da. Auch viele andere Gäste hatten das Sendegelände bereits verlassen (Morgen ist ein langer Tag). Ich fand noch ein paar Lachsbrötchen auf verkrümelten Edelstahlplatten und ließ mir ein Bier (Torbräu) zapfen. Dann stellte ich mich zu einer Gruppe junger Menschen. Sie waren angetrunken und gesprächig. Es stellte sich heraus, dass es sich um Autoren handelte, die am Wettbewerb (29.Tage der deutschsprachigen Literatur) teilnahmen oder irgendwann einmal später daran teilnehmen wollten. Im Grunde, so dachte ich damals,  waren es Langweiler, die krampfhaft versuchten, immerzu alles richtig zu machen (Und ich? Immerzu alles falsch?).

die frage wer aufhört

Ich begegnete ihr in einer Juninacht in Klagenfurt, Österreich, und sie erkannte mich nicht (sie konnte es nicht, sie hatte mich noch nie zuvor gesehen).

Das hielt ich irritierender Weise für falsch. Das und den jungen, lockigen Mann in ihrem Arm. Beide gingen an mir vorbei, blickten mich überhaupt nicht an. Sie unterhielten sich angeregt, so wie es Verliebte manchmal tun, ich war nur ein Fremder, angetrunken und braungebrannt (der alberne blaue Strickhut auf meinem Kopf).

Bis heute weiß ich nicht, warum ich ihnen folgte (ein Zwang). Wir liefen zurück, die Wiener Gasse hinauf zum Alten Platz, wo sie kurz stehenblieben und sich eine Bühne aus Stahlträgern anschauten, die dort am Tag zuvor halb aufgebaut worden war (ihr Lachen, das dem anderen galt).

Ich wartete ein Stück weit entfernt, verstand nicht, worüber sie sprachen (wunderte ich mich über mich selbst?). Dann gingen sie weiter, jetzt schneller. In der Kramergasse, kurz vor dem Neuen Platz, machte ich endlich ein paar schnelle Schritte und sprach sie an.

Entschuldigung, sagte ich, du liest doch auch morgen.

Beide fuhren herum. Er rechts, sie links. Sie strahlte mich an. Er schaute erstaunt. Auf mich, auf sie.

Ja, antwortete sie.

Ich bin ein Freund von S., sagte ich, wisst ihr, ob er noch auf dem Empfang ist?

Woher kennst du denn S., fragte sie.

Die Betonung lag auf dem U.

Sie lachte (zum ersten Mal für mich). Wir wechselten ein paar Worte, sie beschrieben den Weg zum ORF. Bis bald, sagte ich zum Abschied. Bis bald, sagten sie, wie ein Zwillingspaar. Ich sah mich nicht mehr nach ihnen um (der Zwang verwandelte sich in Euphorie).

Später das Wissen, dass sie in dieser Nacht im City Hotel am Domplatz zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten.

Ich mag M.

Ich mag M. Wie sie so halb in der Tür vom Cubix am Alexanderplatz steht, von meinem Ruf angehalten. Dieses Lächeln im Gesicht, das M-Lächeln: belustigt und traurig zugleich. Zeit ist darüber gestrichen und Wind. Es beruhigt mich jedes Mal wenn wir uns sehen. Heute Abend ganz besonders und deshalb drücke ich M ungewöhnlich fest. Später setzt sie sich fast schon automatisch an meine rechte Seite. Wir schauen The Ides of March. Sie findet die Politik-Intrige beklemmend, ich inspirierend. Wir sind beide doch sehr unterschiedlich und ich frage mich, warum ich mich in ihrer Gegenwart so wohl fühle. Vielleicht weil wir erstaunlich oft die gleichen Assoziationen und Gedanken haben, vielleicht weil wir sehr ehrlich zueinander sind und vielleicht, weil sie um sich eine Aura verbreitet, die mich an einen fröhlich vor sich hingluckernden Heizkörper am Winterfenster erinnert. Später, als sie im CSA an ihrem Mai Tai nippt und ich meinen Hemingway Special viel zu schnell herunterstürze, schäme ich mich plötzlich dafür, wie böse ich bei unserem Kennenlernen vor drei Jahren zu ihr war. Ich sage es ihr und M. schaut erstaunt. Ich will aber auch gar nicht mehr so sein, wie ich damals war, sagt sie leise. Und ich bemerke, dass ich gar nicht weiß,wie ich damals war, am Todestag von Michael Jackson. Aber eines weiß ich: Ich mag M.

*

close up to the sky

Wäre ich die Hauptperson in einem Film, wäre das eine großartige Aufnahme. Wie wir in der Schlange vor der Wilden Renate stehen, dicht an dicht gedrängt unter den zerzausten Regenschirmen, die durch die Böen immer wieder aufgebläht und verworfen werden. Dabei schüttet es ununterbrochen und so heftig, dass der Himmel einfach nur schwarz und schwer ist. Selbst das orangene Licht der Straßen-Laternen ist irgendwie schwer und schwarz. Genau wie meine D&G Lederjacke, die sich mit jedem Tropfen fester an mich saugt und mir ein fiebriges Gefühl gibt. Ich ziehe die Kapuze noch etwas tiefer ins Gesicht und drücke mich noch etwas fester an die zwei Däninnen, die ihren Schirm über mich halten.  Sie sind schmerzhaft schön und ihr DeutschEnglischDänisch plappert auf mich ein und ihre nassen Haare duften.  Ich stelle mir vor, dass es sich um ein ganz besonderes Shampoo handelt. Es könnte Stine heißen, oder Vibe und hätte grünen Bambus auf dem Etikett. Vibe, so versichern sie mir, sei ein ausgesprochen seltener Name. Und während ich im Kopf meine Kamerafahrt mache (so eine Gleisfahrt,  beginnend bei den in einem Bretterverschlag wartenden Türstehern, plus Schwenk von oben zum Gegenschneiden) kommen immer mehr Taxen an und werfen Menschen in den Sturm. Er bückt und krümmt sie und macht uns alle gleich: Die Mitte-Hipster, die israelischen Touristen, die jetzt hebräische Lieder singen um sich aufzuwärmen. Julia, die coole Berlinerin mit den großen Schneidezähnen, die ich eben erst kennengelernt habe.  Martin, der dicke Drogenbär mit der beschlagenen Brille. Die Franzosen mit den mariuhanaverhangenen Augen und  meine zwei Däninnen, die mich jetzt nach meinem Alter fragen. Ich lasse sie raten. Ein israelisches Mädchen mischt sich ein und ich sage ihr aus Spaß, dass ich 21 bin und dass ich finde, dass sie sich für ihr Alter sehr gut gehalten habe. Dafür schimpft sie sehr sympathisch, ich verstehe nicht alles. Später (in Fastmotion), werden die Däninnen aufgeben,  die Israelin wird ihre Pumps ausziehen und gegen die Türsteher werfen. Und ich werde auf die Frage, zu wem ich gehöre,  wahrheitsgemäß antworten, dass ich alleine bin. Das ist das Codewort für eine Nacht, die auf einer Kreuzung im Morgenrauen endet. Dabei stehe ich bloß da. Regen prasselt auf mein Gesicht und mein weißes Calvin Klein T-Shirt. Ich muss nicht spielen. Ich stehe einfach nur da und werde kleiner, so von oben. close up to the sky.

Venus im Skorpion

„Würde man Ihnen sagen, dass Sie Ihr ganzes Leben mit einer Liebhaberin verbringen müssten, glauben Sie wahrscheinlich, Sie könnten sich auch gleich erschießen oder ins Kloster gehen. Keine Dramen? Keine Eifersucht? Keine blutigen Schrammen? Liebe ist doch kein Spaziergang, bei dem sich zwei Menschen an den Händchen halten und freundlich anlächeln! Eine Herausforderung ist das, ein Tanz auf dem Vulkan – alles oder nichts! Ihre Venus hat sich doch nicht zufällig die spannendste Ecke im astrologischen Tierkreis ausgesucht. Skorpion, das ist ein anderes Wort für Finsternis, Unterwelt, für Hölle. Aber das Prinzip Skorpion bedeutet auch Transformation. Wer hinuntertaucht in die tiefste Lust und Leidenschaft, wer den Mythos völliger Hingabe nachvollzieht, der geht nicht unter, sondern steigt strahlend, leicht und selbstbewusst wieder auf:  am anderen Ende des Tunnels ist Licht – und das wissen Sie auch!“

So geht das nicht.

Ich möchte Teil einer sinnlosen Jugendbewegung sein

Im Ritter Butzke tanzen zwei pummelige Mädchen ganz langsam um ihre Handtaschen. Die Szene erinnert mich an eine Dorfdisko und für einen Moment bin ich ganz ruhig. Trotz des gepanschten Wodkas und der eintönigen House Musik, die seit zwölf Uhr aus den Boxen blubbert und mir die Laune verdirbt.  Ich habe diesen Scheiß schon Anfang der 90er gehasst, damals gab es sogar einen passenden Tanz dazu. Ich kann mich zum Glück nicht mehr an die exakten Bewegungsabläufe erinnern, nur noch daran, dass er den Charme eines Bodybuilding-Trainings versprühte. Tatsächlich stehen  ein paar Vorstadt-Typen mit Muscle-Shirts und speckig aufgeblasenen Oberarmen herum und trinken sich die Beiden schön.  Warum bin ich hier? Weil heute Digitalism ein DJ Set spielt.  Jetzt ist es schon nach Eins und hier ist immer noch nichts los. Null Elektro-Kids, null Stimmung, nur dieses gelangweilte Blubbern und Stampfen und ich muss daran denken, dass mich der amerikanische, mit dem Song Zdarlight unterlegte BMW X1 Spot auf youtube schon hätte stutzig machen müssen. Die Creme de la Creme der internationalen Marketing-Bluthunderie hechelt ihrer Beute in den Nacken. Aber was solls, wir wechseln den Floor, ich wechsele von Wodka Cranberry zu Rum-Afri Cola. Auf dem Klo tupfe ich etwas und nach einem faden Becks Gold und einer Spezial hat wer an der Uhr gedreht. Der Laden ist auf einen Schlag voll: Das  Facebook-Zeitalter ist punktgenau gelandet und schiebt sich seltsam stumm und mümmelnd in den Raum.  Die zwei gemütlichen Digitalism-Dickwänste haben nur darauf gewartet.  Von einer Sekunde auf die andere geht es los. Es ist ein wenig, als hätte der coole Enkel von Goebbels die kleine, mit Diskokugeln umhängte Bühne betreten und gerufen: Wollt ihr die totale Party? Die Dickwänste ziehen die Regler hoch. Schreie. Stoßen. Jauchzen. Grabschen. Ich bekomme gepantschten Wodka ins Gesicht (brennt gar nicht in den Augen) und Bier auf den Rücken (klebt). Ich flüchte etwas zu Seite und werde von einem amerikanischen Hipster sofort für einen Drogendealer gehalten. Frechheit. Vor einer Minute waren wir alle noch  gelangweilt. Bald, sehr bald, werden wir es wieder sein. On. Off. On. Off. On. Off.

Roter Mohn

Roter Mohn. Klatschmohn, was für ein Wort. Rote Mohnblumen über Grün, dahinter das Meer: Die Sonne blendete ihn, er schloss die Augen. Spiegel. Skalpell. Speichel absaugen. Die Stimme des Arztes war leise und gespannt. Das Mädchen in Weiß gehorchte. Präzise, wie eine Maschine arbeitete sie, ein blonder Engel. Das Plastikrohr gurgelte und riss in seinem Mundwinkel, dann sammelte sich wieder Flüssigkeit im Rachen. Der Schluckreiz kam. Nur nicht würgen. Er öffnete die Augen, versuchte sich auf das Bild zu konzentrieren. Irgendein Impressionist. Es soll beruhigend wirken, dachte er.

Mund auf, sagte der Arzt und setzte die Zange zum zweiten Mal an. Der Engel mit dem Plastikrohr presste seinen Kopf gegen den Stuhl. Er sah ihren schlanken Hals: Er roch nach Seife. Ein Ruck und der glatte Schädel des Arztes erschien vor der künstlichen Sonne. Schwarzer Schleier über Mohn.

„Guter Zahnstand.“

Das klang anerkennend. Er wollte etwas antworten, röchelte aber nur.  Der Engel reichte ein Werkzeug, es folgten harte, kurze Schläge. Knirschen. Zange, Nadel, Faden.

„So das war’s. Sie können spülen.“

Der Zahnarzt ging nach draußen. Er beugte sich vor, griff nach dem Plastikbecher, spürte seine Lippen nicht. Das Wasser roch klinisch, er spuckte Blut und Schleim. Er trank noch einen Schluck, dann lehnte er sich zurück.

Jetzt war er allein. Auf dem Tablett vor ihm, zwischen den silbernen Geräten, lagen kleine Zahnstückchen und etwas, das er für eine Wurzel hielt. Dahinter klemmte die beleuchtete Röntgenaufnahme, ein Kieferporträt. Das silberne Besteck reizte ihn. Einen Moment lang hatte er den Wunsch etwas einzustecken. Den Spiegel oder das Ding mit dem Haken. Aber er rührte sich nicht.

Nichts begann

Sein Zelt auf dem Campingplatz Les Pins stand auf einem harten und steinigen Lehmboden zwischen zwei frisch gestutzten Hecken. Mit ihrer exakten Form und ihrem außerirdischen Grün hätten sie auch auf jedem Friedhof eine gute Figur gemacht. Hier sollten sie ihn vor den neugierigen Blicken seiner sehr lebendigen Nachbarn schützen, die gerade mit dem Frühstück fertig waren und jetzt überlegten, ob sie erst zum Geschirrspülen und dann aufs Klo oder vorher zum Zähneputzen und gleich an den See gehen sollten. Er saß bei geschlossenen Türen und Fenstern hinter dem Steuer seines Autos und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Die schnell kletternde Morgensonne schien direkt auf das Blech und er schwitzte, ohne es zu merken.

Er starrte auf das immer genau nach einer Minute verlöschende Display seines iPhones. Wenn der Bildschirm dunkel wurde, drückte er auf den Knopf, gab den Code ein und wischte die Icons zur Seite, um sich ein Bild von ihr anzusehen, auf dem sie ihm aus verschlafenen Augen zublinzelte und mit ihrem vollen Mund einen Kuss für ihn formte. Das Foto war nicht einmal ein halbes Jahr alt. Sie hatte es ihm aus Amerika quer über den Pazifik geschickt, nach einem schweren Streit, als es bei ihr früh am Morgen war und bei ihm schon wieder Nacht, wegen der Zeitverschiebung. Er starrte auf das Bild und rauchte und versuchte sich zu erinnern, während der Nikotinnebel um ihn herum immer dichter wurde. Er dachte, dass etwas zu Ende war und nichts begann.