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zak
Befindlichkeiten


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2004.10.27 | 5:31 pm | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
Damals, an einem Abend in Köln

Karl Ignaz Hennetmair saß mit geschlossenen Augen auf einem der Ledersessel im Foyer. Mit der rechten Hand stützte er seinen Kopf, während die Linke auf der Lehne ruhte. Er sah sehr müde aus und so alt, dass ich ihn nicht erkannte, obwohl ich mehrmals zu dem Aschenbecher ging, der direkt neben seinem Sessel stand, um abzuaschen. R. hatte ihn direkt erkannt, ohne mich darauf aufmerksam zu machen, was aber daran lag, dass sie dachte, ich hätte ihn auch erkannt, was aber nicht der Fall war, vielmehr hatte dieser ältere Herr meine Aufmerksamkeit erregt, weil er eine gewisse Erscheinung war, des weiteren beschäftigte mich aber bloß die Frage, aus welchem Grunde dieser mir unbekannte ältere Herr hier wohl saß, mit geschlossenen Augen, und vielleicht sogar schlief, fünf Minuten vor Beginn der Veranstaltung. Dann jedoch, nachdem ich gerade die Zigarette dreißig Zentimeter neben Karl Ignaz Hennetmairs ruhendem Kopf ausgedrückt hatte, erschien ein Reportageteam der Deutschen Welle und bewirkte durch seine bloße Anwesenheit ein verstörtes Augenöffnen, und da der Photograph dann Karl Ignaz Hennetmair mit seinem Namen ansprach, wurde auch mir bewusst, neben wem ich da die ganze Zeit abgeascht hatte. R., die Karl Ignaz Hennetmair ja schon viel früher erkannt hatte, wollte sofort ein Photo von ihm machen, da es ja schon eine kleine Sensation sei, wie sie sagte, dass Karl Ignaz Hennetmair einfach so neben uns im Foyer sitzt, und ich die ganze Zeit neben ihm abasche, ohne zu merken, wer das denn ist, der da neben dem Aschenbecher sitzt, mit geschlossenen Augen, den Kopf auf die Hand gestützt. Doch dann war es ihr doch zu peinlich, ein Photo zu machen, da Karl Ignaz Hennetmair es bestimmt bemerkt hätte, wenn man einfach so ein Photo von ihm macht und das wäre ja taktlos gewesen, einfach so einen Menschen zu photographieren, ohne ihn vorher gefragt zu haben, und ihn zu fragen war mit dem plötzlichen Auftauchen des Reportageteams der Deutschen Welle ja nun auch unmöglich geworden, da diese Leute Karl Ignaz Hennetmair ja geradezu belagerten, beinahe penetrant, obwohl sie doch offensichtlich gesehen haben mussten, dass er mit geschlossenen Augen und somit zumindest erschöpft, wenn nicht sogar schlafend in seinem Sessel saß, als sie hereinkamen. Wir machten also kein Photo, sondern gingen in den Saal. Später dann, als Karl Ignaz Hennetmair auf der Bühne saß und aus seinem wundervollen Buch vorlas, wirkte er überhaupt nicht mehr müde, obwohl er ja heute die ganzen 700 Kilometer von Ohlsdorf zusammen mit seiner Frau angereist war, wie der Leiter des Abends, der Herr Hajo Steinert, in seiner Einführung gesagt hatte. Und noch weniger müde wirkte Karl Ignaz Hennetmair, als ihm der Herr Hajo Steinert nach dem Vorlesen ganz fantastische, vor kompetentem Fachwissen geradezu strotzende Fragen stellte, nein, vielmehr war er plötzlich hellwach, und konnte hier und da auch ein kleines Lachen nicht unterdrücken, nämlich dann, wenn die Fragen allzu kompetent wurden und sozusagen vor Kompetenz und Fachwissen und vor allem Einfühlungsvermögen geradezu zu bersten schienen. Den Satz, der immer dann aus Karl Ignaz Hennetmaiers Mund zu hören war, wenn der Herr Hajo Steinert ohne Umschweife und Verirrungen zum Punkt kam, würde ich mir gerne auf ein T-Shirt drucken, wenn ich so etwas anziehen würde: „Ach, des wollen`s.“ R. lachte sehr viel an diesem Abend, wir tranken Becks für drei Euro und manchmal berührten sich unsere Knie. Ein Denkmal errichten möchten wir L., da sie uns ihre Plätze auf der Gästeliste, tschechische Dokumente sowie mehrere Bücher eines renommierten Kölner Verlages überließ. Und natürlich Karl Ignaz Hennetmair, der sich um halb zwei Nachts doch noch von R. photographieren ließ, zusammen mit seiner Frau, die müde Mineralwasser trank, begleitet von den Worten: „Wenn`s Ihnen a Freud macht.“ Als wir nach draußen kamen, war es eiskalt, es regnete, und der Parkplatz war leergefegt. Die Bäume spuckten und bald würde es Frühling werden.

2004.10.24 | 10:39 am | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
Heute Morgen

[...] Wenn einer sagt, er hat keinen Stoff, dann kann er nie ein Schriftsteller sein, denn der erste Stoff, den er spürt, ist doch die Luft, die er einatmet, und davon allein müsste man ein Leben lang schreiben können. Denn die Luft, die wir einatmen, ist schon durch so viele Lungen von Mensch und Vieh gegangen, alle Völker vor uns haben sie schon ein- und ausgeatmet. Die Luft, die wir hier einatmen, die könnte was erzählen. Du gehst ja auch wegen der Luft spazieren und brauchst die Luft, damit dir gute Gedanken kommen. Ein Schriftsteller muss einfach aus Luft auch etwas machen können, und die hat jeder und die kostet nichts. Thomas hörte mir damals ruhig zu, ohne etwas zu sagen, und das gilt bei ihm in viel höherem Maße als Zustimmung, als wenn er Worte verwendete. [...]

Karl Ignaz Hennetmair - Ein Jahr mit Thomas Bernhard

2004.10.23 | 11:58 pm | Ich >< Welt PERMALINK  |  TRACKBACK
Mute.

Man kann die Fenster öffnen, so warm ist die Nacht. Der Wind atmet hinein. Nur der Monitor wirft Licht ins Zimmer. Niemand darf die Ruhe stören. In dieser Blase atme ich Stille. In diesem Raum bin ich allein.

2004.10.23 | 3:44 pm | Ich >< Welt PERMALINK  |  TRACKBACK
Serendipity

An der Haltestelle in die falsche Straßenbahn steigen und deshalb zu Fuß nach Hause gehen, einen langen, anderen Weg. Den blauen Himmel sehen und die Büste Juri Gagarins, am gleichnamigen Ring, das alte Ehepaar, das im Erdgeschoss eines Plattenbaus die Fenster seiner Wohnung putzt, in stiller Eintracht. Die warme Luft riechen und über die Stirn streichen lassen. An Walter Benjamin denken und an den Hausflur, dessen Geräusche und Gerüche die Kammern der Erinnerung aufschließen, die Orte zeigen, an denen allein sie existieren kann. An die Schichten denken und an das Graben. An den gemeinsamen Entschluss, kein Grabräuber sein zu wollen, sondern ein handelnder Betrachter, jeden Krümel Erde mehrfach zersiebend, um im Prozess des Findens das zu suchen, was sich ganz woanders verbirgt. Vor einem Altenheim einen erwachsenen Enkel mit seiner Großmutter in der Sonne sitzen sehen, zum Klang der vorbeirauschenden Autos, sich ein paar Bänke weiter hinsetzen und das hier aufschreiben, während die bunten Bäume im Wind rascheln. Das unruhige Herz streicheln, an den Wert des Momentes glauben und an den Moment als Wert. Und doch nicht. Sich die finale Gelassenheit eines Lester Burnham wünschen. Stundenlang einer im Wind tanzenden Papiertüte zuschauen.

2004.10.21 | 2:09 pm | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
Nichts als Gespenster III – Bildnachtrag

COMMENTS

1 - posted by Jens | 2004.10.22 | 12:18 pm

Gibt es denn hier nirgends eine Mailadresse, an die sich schreiben liesse? Darf ich dann einladen, mir zu schreiben nach jens.thiel at minusvisionen.de?

2 - posted by lou | 2004.11.26 | 4:41 pm

Hey, ist das rechte bild etwa in Sanspareil???
sou

3 - posted by zak | 2004.11.28 | 8:24 pm

Ist es. An einem schönen Sommertag.

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2004.10.19 | 4:37 pm | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
Das Offene und das Verborgene

Soll ich nun darüber reden, über dieses Ding, dem der Text und das auch ihm entflieht, sich in seinen Leerstellen verbirgt? Das sich zwischen Gesagtem und Ungesagtem versteckt und das Dritte ist, das Andere, dessen Geburtskanal sich Unterschied nennt, in manchen Sprachen? Über Analogien von Rauch und Ventilatoren, Helikoptern und Fensterläden, über die geheime Verwandschaft zwischen Captain Willard und demjenigen, der auf Patmos war. Darüber, dass etwas Verborgenes enthüllt wird. Und diese Enthüllung sich immer mit Schrecken und Verbot verknüpft. Durch die Schleier von Rauch und Regen werden die Katastrophen kommen. This is the End, beautiful Friend. Und doch nicht, die Erwartung kann nicht enden, das Spiel lebt vom Bevorstehenden, ist immer Aufschiebung. Die Krabben und das Roastbeef, die Photos und das Tonband. Vermischung der Diskurse. Es sind Spuren, die wir sehen, der Messias kündigt sich an, bleibt jedoch verborgen. Der rasierte Kopf das Antlitz, ein Gesicht ohne Gesicht. Auf dem Wasser, im Sonnenuntergang, wird das Siegel gebrochen, der Adler zeigt sich, die Verknüpfungen sind klar. Johannes. Das Geheimnis hebt sich ins Haupt, die Augen blinzeln. Die Biographie ein Rätsel. Auf der Insel zeigt sich, verziert von abgetrennten Köpfen und aufgeknüpften Körpern, Blut an den Händen und in den Blicken, das himmlische Jerusalem, der Tempel seiner Kinder. Der Urwald spuckt Feuer, auf den Mauern steht die Schrift. Über den Kameras, den Objektiven, öffnet sich der Mund, sagt, man kann nicht mit ihm reden, er spricht zu dir. Er ist beides zugleich, hat die Macht über den Diskurs. Er ist die Rede des Anderen. Mechanismen der Ausschließung. Blut auf den Steinen, im Gras, der Geruch von stetiger Verwesung. Ein Kommentar. Das hebräische Wort für Apokalypse entspricht nicht unserer Begrifflichkeit. Wissen Sie, was wahre Freiheit ist?

gala' Now Redux

[...] Ich weiß deine Werke,
dass du den Namen hast, Du lebst,
und doch tot bist.
Wache!
Und stärke das Übrige, das am Sterben war.
Wenn du nicht wachest,
Werde ich kommen wie ein Dieb,
Und du wirst nicht wissen,
In welcher Stunde ich über dich kommen werde. [...]

Offenbarung des Johannes - III, 1-3

COMMENTS

1 - posted by Jens | 2004.10.20 | 6:25 pm

Herr (?, ich denke es wohl) zak, ich habe hier ein wenig global herumgeschaut und es gefällt mir bei Ihnen recht gut. Gelegentlich, Sie wissen, hält man sich ja nicht die Ohren zu, das zu hören, auch wenn man weiss ..

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2004.10.17 | 11:53 pm | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
Abteilung Mitmenschen

Harr Harr

"Dein Lachen gerade erinnert mich irgendwie an diesen zotteligen grauen Zeichentrickhund..."

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1 - posted by cato | 2004.10.18 | 1:03 pm

mir fehlt noch der subtile link zum zottelhund. aber der ist doch grün und nicht grau? und außerdem: sehr schmeichelhaft, wirklich 🙂

2 - posted by zak | 2004.10.18 | 1:18 pm

Na ja, eigentlich eher so braun-schmutzig-oliv. Aber in meiner Erinnerung war er grau. Klicken Sie doch einmal auf „Harr Harr“, da lässt sich so einiges finden. Der Herr Hund hört übrigens auf den klingenden Namen „Muttley“. Und überhaupt: Es geht ja hier nur um das Lachen, nicht wahr…

3 - posted by cato | 2004.10.19 | 12:43 pm

das werde wir ja sehen. wenn sie mich demnächst muttley nennen, werde ich mir sorgen über meinen schmutzig-oliven teint machen.

4 - posted by Cyberangie | 2005.01.04 | 2:33 pm

Kann mir jemand sagen, wie Muttley im Deutschen hieß?Wir suchen den Namen ganz verzweifelt.

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2004.10.17 | 12:20 pm | Nerd of Love PERMALINK  |  TRACKBACK
Sie wissen schon…

Pubblicità

[...] Ich habe gestern eine ihren schweren Bisswunden erlegene Tafel Schokolade in den Kühlschrank gebettet, aber als ich heute morgen nachsah, war sie wiederauferstanden und noch vor Ablauf der dreitätigen Schutzfrist gen Himmel gefahren.
"Bea?"
"Hmmm?" Sie sieht mich mit großen Backen an. [...]

Helmut Krausser - Januar Februar

2004.10.16 | 6:32 pm | Ich >< Welt PERMALINK  |  TRACKBACK
Nichts als Gespenster III

Anderntags ein Ausflug in die fränkische Schweiz. Wir fahren mit Fahrrädern zum Staatsarchiv, besteigen dort den orangenen Duke und setzten unsere Sonnenbrillen auf. Das Wetter prunkt noch immer über den Hügeln, die Straße glänzt golden, fast weiß. Es läuft Musik, passend, und wir reden, Landschaft zieht vorbei, ein Laufband, mit gestalterischer Detailliebe verziert. Radfahrer und Spaziergänger, Traktoren und Kartoffeln im Hofverkauf. Angenehme Annäherungen. Wir halten an einem Steinbruch, um Pigmente zu suchen, doch die gelben Maschinen bewegen sich noch, winken mit ihren Schaufeln. Also weiter durch ein langes Flusstal, Tannen werfen Schatten, bizarre Felsformationen überbieten sich gegenseitig, auf manchen stehen Häuser, in statischer Unmöglichkeit. Schlängelnd und schauend genießen wir die Sonne und den Geruch des Wassers, der manchmal durchs offene Fenster schlägt, durchsetzt von kühlem Grün. Auf einer alten Eisenbahnbrücke ein Filmteam. An der Villa angelangt, hat sich nichts verändert, im Prinzip, nur ein paar neue Schichten sind hinzugekommen, der Moderberg ist gewachsen. Noch immer hüpfen bissige Ziegen umher. Halbherzig durchwandern wir den Garten, schauen in die Schubladen der Möbel und kitzeln die zerfetzten Puppen in den Schützengräben der Zeit. Ins Haus werden wir nicht gelassen und vielleicht ist das auch gut so. In Bayreuth dann spielen wir Boules vor den Gebäuden der Landesregierung, sehen einen Dinosaurier und gehen im Festspielhaus pinkeln. An den Scheiben der Toilette kleben bunte Plastikschmetterlinge. Auf dem Rückweg besuchen wir einen barocken Landsitz, schlendern durch den Steingarten und lassen uns von den Lichtstrahlen zwischen den Ästen blenden. Das Photo von der Sirenengrotte verwackelt leider. Zurück in der Stadt der sieben Hügel beschließen wir, obwohl angenehm erschöpft und voll der Dinge, noch schwimmen zu gehen, und bei Plaudereien im Warmwasserbecken zergeht der Tag.

2004.10.16 | 6:20 pm | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
Exorzismus auf Brücken

Der weißblaue Himmel in unseren Köpfen. Die Lieben, die wir verloren haben. Die Möglichkeiten, die wir niemals hatten. Weil wir unveränderlich veränderbar sind. All das hängt in diesen Gassen, an diesem Tag, über den Köpfen der Touristen, prallt ab und schmiegt sich an alte Steine, fügt sich in die Ritzen des Mauerwerks und dann in mein Herz. Niemals das, was erwartet wurde und doch immer nur eine Wiederholung der Wiederholung. Photos wie Zeitreisen in die eigene Vergänglichkeit, in das Verrotten unserer selbst. Wo seid ihr, außen eingeprägt in meinen Kopf und in die Zeit, die ich hatte? Ich schwimme im Strom des Vergangenen, taumle über Wellenkämme, greife ein in die Gezeiten. Wer sind wir jetzt? Evidenz des Schmerzes. Ich höre mich selbst, höre die Nacht, in der wir die Stufen erklommen und die Dunkelheit der Stadt überblickten, wie uns auch. Höre, was nicht hörbar ist.

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