Es fällt mir sehr schwer, mich genau zu erinnern. Man sagte mir, ich hätte die beiden vergangenen Jahre in einem Kellerverlies unterhalb des Grill Royal verbracht, hineinkonstruiert zwischen Vorratsräumen und Heizkeller, mit eigenem Luft- und Abwassersystem. Es war komplett eingerichtet mit weißen Möbeln, die exakt so aussahen wie aus der beliebten Billy-Reihe eines großen schwedischen Möbelhauses, jedoch viel besser verarbeitet waren. Bei Hochwasser schwappte die Spree durch das oben gelegene Fenster hinein und durchnässte das Strohlager und meine Notizen. Man mischte mir täglich Drogen ins Essen, wohl eine Mischung aus Peyote und Amphetaminen, und ich muss unfassbar viel Text produziert haben, ausgehend von den Manuskripten, die in den Schränken des Vorraumes gefunden wurden. Ich weiß noch, dass einmal im Monat ein Herr in einem gutgeschnittenen Anzug, das war wahrscheinlich der Herr von Eden, mit Pomade im Haar, vorbei kam, die aktuelle Produktion begutachtete und Verwendbares mitnahm. Ab und an schauten auch seine Kollegen, die Frau Eggers und der Herr Landwehr, herein, und lockerten die zumeist recht eintönige Kost aus Fleisch-, Kartoffel- und Salatresten mittels mitgebrachter Präsentkörbe aus dem Hause Butter Lindner auf.
Einmal belauschte ich ein Gespräch, das Frau Eggers mit dem Geschäftsführer des Grill Royal, einem dicklichen Herrn im rosa Hemd, auf dem Flur führte. Ich verstand nicht viel, außer dass man sehr zufrieden mit dem Verlauf der Unternehmung sei und darüber nachdachte, das Konzept international auszubauen. Soweit ich es bisher rekonstruieren konnte, schrieb ich unter anderem wohl “die Geschichte eines Mädchens, das mit 13 seine Mutter an den Suff verloren hat, das nach Berlin geht, zu ihrem Vater, einem Theaterintendanten, das die Schule schwänzt”, welche teilweise wohl frappierende Ähnlichkeit mit den Texten eines Berliner Webloggers, dessen Name mir jetzt nicht mehr einfällt, haben soll; des weiteren “ein Generationenporträt und den Roman eines Lebensgefühls: die Geschichte der ersten echten Krise im Erwachsenenleben, erzählt als Roadstory”; einen Roman, der beweist, “dass man ein gutes Buch nicht vortäuschen kann. Man braucht dafür sprachliche Fähigkeiten und eine interessante Geschichte. […] Dieses hier liest sich jedoch wie das eilig hingeworfene Drehbuch zu einer Fernseh-Vorabendserie”; einen Text über den deutschen Kriegseinsatz in Afghanistan, der laut Ingeborg Harms “dank seines Deadpan-Humors […] eine Poesie der Wahrhaftigkeit entfaltet” und dessen “streng gefügte Prosa […] das Erbe der Klassik neu durchdenkt”; sowie ein multifunktionales Werk, das zugleich “Reiseroman, Businessplan, Misserfolgsgeschichte und Hochstapelei ist. Bei aller Verspieltheit bleibt jedoch der ernste Kern, tatsächlich auf eine Ästhetisierung der Welt zu zielen.” Schade, dass mir nicht mehr das Geringste davon noch geläufig ist.
Irgendwann dann fand ich mich, nur bekleidet mit ledernen Schlappen und einem Pyjama aus dem Hause Brooks Brothers, in Freiheit wieder und muss sagen, dass mich doch von allen verpassten Ereignissen am meisten die Art und Weise sowie die Gründlichkeit bewegen, auf die und mit der sich der Suhrkamp-Verlag inzwischen selbst abgeschafft hat.
Vienna Calling
Phänomenologie des Gemüseinstruments I
[...] Ein zum Gemüseorchester gehörender Koch fertigt aus den Instrumenten eine Gemüsesuppe, die an die Konzertbesucher verteilt wird, so dass diese die Musik nicht nur in ihren Herzen, sondern auch in ihrem Magen mitnehmen können. [...]
Und hinter der Kamera sitzt das Mädchen mit der Blockflöte und kichert nach der Aufnahme.
(übrigens fehlen da vor den values vermutlich die spitzen Klammern und lassen den halben Einbindungscode erscheinen..)
Wenn es denn mal so wäre. Aber nein, der nette Herr pfeift tatsächlich auf Gemüse. Normalerweise jedoch wesentlich schlechter.
Fesche Damen
schon seit Tagen
tragen
Kragenbärenkragen
* Courtesy of Jens Thiel
Wilhelm Genazino stand während des gesamten Abends am Buffet und trank Wein, derweil inmitten des büroesken Festraumes eine hagere, schnauzbärtige Gestalt mit schütterem Haar und abgewetzter Jeansjacke saß, um den Hals einen gewaltigen medizinischen Stützkragen aus weißem Plastik, der immens an die Trichter erinnerte, mit welchen man kranke Hunde versieht. Während wir uns fragten, an wie viele Zeitungen der einzige anwesende Journalist wohl seinen jeweils entsprechend variierten Artikel verkaufen würde und was dieser seltsam anachron wirkende Mann in Bühnennähe wohl mit dem Chello vorhabe, kam der andere Schnauzbart des Abends, Werner Söllner, hastig rauchend auf uns zu und fragte: „Wollt Ihr nicht auch lesen, heute, hier?“ Kurz hielten wir uns am Büchertisch fest, – [der überladen von Bergen dieser Zeitschrift, die niemand kauft und niemand kennt, den Weg zum Flur versperrte] – denn der Mousonturm wackelte plötzlich, zumindest fühlte es sich so an, sagten „Ja, aber gerne doch“ und überlegten einen Moment lang, vielleicht unsere Texte zu tauschen, entschieden uns jedoch dagegen, da es ohnehin niemandem aufgefallen wäre. Stattdessen holte ich schnell soviel der Plastikbecher bittren Weines, wie meine schmächtigen Ärmchen zu umfassen vermochten und konnte mich gerade noch beherrschen, Ricarda Junge nicht mindestens einen davon über ihre weiße Jeans zu schütten, welche sie bestimmt in einem festlandamerikanischen Hilfigerstore erworben hatte. Zu Recherchezwecken, selbstredend. Oder vielleicht doch hier in Frafumai, in dieser Secondhandboutique nahe der Fressgasse. Die Hose also blieb verschont, so viele der Becher wie nötig als auch möglich wurden geleert und an den Rest des Abends kann ich mich nicht erinnern. Wir werden wohl gelesen haben, zumindest stand das in allen drei Artikeln, die ich im Laufe der folgenden Woche in verschiedenen Publikationen über das illustre Jubiläumsfest lesen durfte. Unter allen fand sich das gleiche Kürzel. Trotzdem frage ich mich noch immer, ob ich wirklich dort war.
[Ich kaufe mir eine Hose und gehe danach mit mir Essen.]
A: „Ich finde, es sollte viel mehr auf dem Gebiet des varianten Reenactments stattfinden. Auch wenn wir da jetzt gerade schon auf einem guten Weg sind.“
B: „Beuys! Unbedingt Beuys! Es gibt schließlich noch viele andere tote Tiere, denen man die Kunst erklären kann.“
A: „Ich habe einmal in Valencia, aus dem Fenster meiner Pension gegenüber der Markthalle heraus, gesehen, wie einem toten Bauarbeiter die Kunst erklärt wurde.“
B: „Ich würde mir gerne das Gesicht golden malen und einem toten Yak die Kunst erklären.“
A: „Das dürfte aber zu logistischen Problemen führen.“
B: „Nun, man bräuchte natürlich zwei Yakträger, die hinten lupfen, während man vorne erklärt und dem toten Tier über das säumige Fell streicht.“
A: „Ach, zwischen Hase und Yak ist der semiotische Graben nun aber auch nicht allzu tief. Ich denke da eher an einen Flugzeughangar, einen Kran und einen toten Blauwal, dem man die Arbeiten von Damien Hirst erklärt.“
B: „Man könnte den toten Blauwal auch unter einen amerikanischen Militärhubschrauber hängen und ihm in achtzig Tagen die Welt erklären.“
A: „Und am Ende des achtzigsten Tages wird er in 417 Metern Höhe über Ground Zero ausgeklinkt.“
B: „Ich habe Douglas Adams noch nie gemocht.“
A: „Wir bewegen uns alle in den selben Gewässern.“
B: „Die trübe sind und stehen.“
Soeben beim halbherzigen Durchlavieren eines Onlinetextes statt des dort stehenden Eigennamens „Dirk Murschall“ das Wort „Diskursmarschall“ gelesen.
Sollte ich fluchtartig die Bibliothek verlassen, jetzt, sofort? Mit oberhalb des Kopfes wedelnden Armen, schreiend? Wäre eine Option.
Diskursmarschall. Was für ein Beruf.
Sie Selbst-Googler, Sie! Nun, seien Sie herzlich willkommen, setzen Sie sich, nehmen Sie einen Keks.
Titel gefälschter chinesischer Harry-Potter-Romane,
derer es mehr als fünfzehn geben soll:
„Harry Potter und die Kristallvase“
„Harry Potter und die Goldene Schildkröte“
„Harry Potter und der Leopardendrache“
„Harry Potter und die Goldene Rüstung“
„Harry Potter und der große Trichter“
Manchmal bekommt Harry Potter von Zhang Yimou einen neuen Fall übermittelt.
Welcher ohnehin am besten über neue Farb- und Flugdramaturgien nachdenken kann, wenn er als Eulenvogel verkleidet in einer exakt ausgependelten Ecke seines Arbeitszimmers hockt.
OOOMS
[via Stilhäschen]
Ist das nicht die ostdeutsche Cousine von Margaret Lanterman? Achten Sie dieser Tage auf Ihr Telefon, es könnte klingeln!
Telefon hat übrigens nicht geklingelt. Ich hoffe, du bist nicht auf den Fake-Anrufbeantworter, den wir nicht abhören können, reingefallen. Überlassen wir unser Treffen wieder dem Schicksal?
Ha! Und Herr von Eden ist von mir!
Das kann ja jeder sagen. Und tut es auch. Oder auch, mit Bernhard: „Meine Übertreibungskunst habe ich so weit geschult, dass ich mich ohne weiteres den grössten Übertreibungskünstler, der mir bekannt ist, nennen kann. Ich kenne keinen anderen.“
Sehr schön, hier wieder zu lesen!
Merci bien, Monsieur.
Ja, sehr schön. Das meinte ich doch. Und den Feed hab ich auch gefunden!