Seit kurzem wohne ich also nun in einer Pariser Dachwohnung, nahe des Boulevard Haussmann, am Parc Monceau. Vom Wohnzimmerfenster aus kann man tatsächlich den Eiffelturm sehen. Es gibt nichts zu verbrämen an dieser Wirklichkeit.
Erinnerungen, wie wir sie in den Industriegebieten unserer Kindheit finden können, in den durchsuchten Taschen und der Ware aus dem Kofferraum, in den Träumen von der Welt, die nachts auf leeren Parkplätzen entstanden, zwischen Brachland und Schuhzentren. In den Vorstädten unserer niemals aufregenden Jugend, in den kalten Nächten der ungeschützten Berghütten. In den Hosentaschen der Dealer, in den Kaffeemühlen holländischer Tauchboote. Niemals hätten wir ahnen können, wie all dies einmal sein würde. Wie einfach und vollkommen unaufgeregt die Zukunft stattfindet, von der man immer sprach.
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Und nun: Lasset uns Menschen machen!
[Plüschtierkörperflüssigkeit(en)]
Während meiner Abwesenheit hat sich ein Vieh in meiner Stube eingerichtet. Es ist kein besonders großes Vieh, trotzdem wäre es sehr euphemistisch zu sagen, es würde nicht stören. Vielmehr ist es gerade seine geringe Körpergröße, mit der eine gewisse Flinke einhergeht, die mir die letzten Tage teilweise recht unerträglich gemacht hat. Gerade jetzt sitzt es auf dem Boden hinter meinem Schreibtischstuhl, halb verdeckt von meinem darüber liegenden Morgenmantel, ab und an lugt ein Hörnchen hervor, dann sieht man ein paar ungepflegte dunkle Haare, schließlich zeigen sich seine verschorften Äuglein, nervös zwinkernd. Wirft man etwas nach ihm, verschwindet es geschwind galoppierend hinter den Vorhängen, wo es dann auf und ab flaniert, in leichtem Trab, vor der Heizung. Ab und an stößt es sich und man vernimmt einen klagenden Laut.
Am 23.12. dann beschlossen wir, unsere hochwertigen Reisetaschen in Kunming zurueckzulassen und die verbleibenden Wochen des Weges mithilfe bunter, weihnachtsmotivlaminierter Papiergeschenktueten zu bestreiten, welche im Universitaetsviertel ueberall am Strassenrand feilgeboten wurden.
Ich kann noch immer Deine Hand spüren, auf meinem Schulterblatt, wie Du sie an diesem letzten grauen Morgen dort ablegtest, sanft und warm nach alle der Kälte und Entfernung. Ich weiß nicht einmal, ob Du wach warst oder schliefest, ob diese Berührung mich gemeint hat oder den Anderen suchte, im Traum; diesen gesichtslosen Anderen, den ich noch nicht einmal verfluchen kann. Weil ich ja weiß, dass niemand etwas dafür kann, am wenigsten er. Was würde es schon ändern? Ich lag ganz still da und wagte fast nicht zu atmen, aus Angst, etwas zu tun, das dieses scheue Tier der Nähe wieder vertreiben könnte. Dann griff ich vorsichtig hinter mich und legte meine Hand zaghaft auf Dein Knie. Keine weitere Bewegung mehr, nur lautloses Atmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit schlief ich wieder ein, und das war es dann auch schon. Eine unwirkliche Woche zuvor dachte ich noch, dass es tatsächlich ginge, dass wir uns wirklich festhalten könnten, dass diese Umarmungen nie enden würden und dass niemand mehr aus dem Leben fallen müsste. Nie wieder. Dass so etwas eine reale Möglichkeit sei. Später dann an diesem schadhaften Sonntag stand ich minutenlang vor einem Fahrkartenautomaten am Hauptbahnhof, schon wieder, unfähig, auch nur eine Taste zu drücken. Im Zug regnete es und ich hatte keinen Schirm bei mir.
[...] Wenn aber eine List der Dialektik will, dass in dem jedes Subjekt zerstörenden Text doch ein liebenswürdiges Subjekt sei, so ist dieses Subjekt doch verstreut, wie Asche, die man nach dem Tode in alle Winde streut (der Urne und der Stele als handfeste geschlossene Gegenstände und Schicksalsträger stehen die Splitter der Erinnerung gegenüber, die Erosion, die vom vergangenen Leben nur ein paar Furchen übriglässt): wäre ich Schriftsteller und tot, wie sehr würde ich mich freuen, wenn mein Leben sich dank eines freundlichen und unbekümmerten Biographen auf ein paar Details, einige Vorlieben und Neigungen, sagen wir auf "Biographeme", reduzieren würde. [...]
Roland Barthes - Sade, Fourier, Loyola
Andere für sich reden lassen. Nicht an sich halten können und es trotzdem tun. Immer wieder, immer wieder, die Getränke vor Sonnenaufgang, das Ausleeren von Behältnissen und die guten Absichten, die alle wieder verschwunden sind, im Grau der Worte und des Morgens. Ganz vorsichtig stecke ich mir Schnee in den Mund, damit man meinen Atem nicht sieht. Ganz ohne Frage wird es noch etwas anderes geben. Ganz ohne Frage ist es nicht mehr adäquat, die Orientierung zu verlieren. Ganz ohne Frage darf man nicht mehr an Beschwörungen glauben. Die Berge und das Leben unter den Abhängen. Die Frequenzen des Stillstandes. Die Widerwärtigkeit der Metaphorik. An sich gibt es kein Halten.
Wunderbar!
Was ist denn noch zu sehen? Gegenüber also die grob gemauerte Wand aus unverputzten grauen grobkörnigen Baumarktquadern, oben darauf in eine dünne Schicht Mörtel eingelassen die obligatorischen Glasscherben, abgebrochene Flaschenhälse. Dahinter die Vegetation, kleine und größere Palmen recken ihre Hälse, man sieht die Ecke eines Daches. Hinter dem Grün dann, hinter der ersten Schicht, erheben sich die hässlichen Waschbetonkolosse, die immer wieder an die Gebäude aus Full Metal Jacket erinnern, mit den Spuren und Bahnen, die Schmutz und Rost bei jedem Regenguss erneut auf ihnen hinterlassen, eingraben und vertiefen. Die Wäsche, die auf den elenden Balkonen niemals richtig trocken wird, die verkrüppelten Fernsehantennen, das bunte Plastikspielzeug. Das Auge des Betrachters.
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Was mich interessiert, und das nicht zu knapp, ist das Verderben.
I’ve left the light on all night, but nobody came.
Nobody came and the military sent no assistance.
I`ve waited all my life, but nobody came.
Nobody came.
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Only angels
- Entweder ich träume, oder es regnet.
- Wahrscheinlich beides.
Und da wir ja alle wissen, wie das funktioniert, mit der Konstruktion des Schicksals, der schon lange eingestellten Fadenproduktion bei Ariadnes, den Schließmechanismen des Lebenshospitals und der Sitzplatzverteilung auf den Aussichtsplattformen der Parzen, war natürlich schon vor Anbeginn der Zeit vollkommen klar, dass auch dieser eine Name auf der eben erhaltenen Teilnehmerliste stehen würde. Ich habe mich schon seit dem Anruf des hageren nikotingelben Schnauzbartträgers vor einigen Tagen darauf eingestellt. Ach, das wird ja alles immer großartiger.
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Sagte ich schon, dass wir in die Hölle kommen werden, für all das?
We sang three blind mice together:
three blind mice, three blind mice
Dafür nimmt doch in der Hölle keiner ’ne Stake in die Hand. Ganz gleich, wieviel Gold Sie auf der Zunge herumtragen, sozusagen.
Selbstüberschätzung, wie immer. In jeder Richtung auf der Skala. Dazu passend, gerade beschlossen, als Aufgabe: Wir treffen uns Samstag Abend um zehn mit J.T. im Kaminzimmer des Münzclubs. Au weh.