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zak
Befindlichkeiten


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2004.07.31 | 10:44 pm | Archiv PERMALINK  |  TRACKBACK
II

Und dann steht man vor diesem Gebäude, mit dem vielen Glas in seinen Bögen und winkt ein Taxi herbei, und zeigt dem Fahrer auf der Karte, wo man hinwill und dann fährt man hinein in die Stadt, die erwacht und hupt und schreit und deren helle Steine im Schein der schrägen Sonne blenden. Palmen und Karren mit Früchten und alte Männer mit Zigarren und dunkler, gegerbter Haut markieren den Weg, und man ist nicht müde, nein, ist man nicht. Das Zimmer in der Pension dann, an dem kleinen Platz gegenüber der Markthalle, ist vielleicht sechs Quadratmeter groß, darin ein knarrendes Bett, ein kleines Schränkchen und ein Waschbecken, mehr nicht, vor dem Fenster eine Baustelle, auf der nur Nachts gearbeitet wird. Obwohl schon morgens eine gewisse Form von Aktivität zu spüren ist, allerorten, findet das wahre Leben nachts statt. Oder ständig und nie. Die Zeit hat, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle und keinen eigenen Begriff. Die Straßen duften nach Orangen und Harz. Auf das Auspacken und Duschen folgt Mocca mit Brandy vor dem Rathaus, schaumgeschlagen, und die Stühle und Tische der Straßencafés stehen enger als eng beieinander, es wäre mehr Platz, wenn man sie aufeinander stapeln würde, samt Gästen. Und während in Deutschland erste Weihnachtsplätzchen verspeist werden, bei Aldi erworben, wärmt hier die Sonne im Gesicht mehr als das Getränk in der Hand.

2004.07.31 | 11:41 am | Ich >< Welt PERMALINK  |  TRACKBACK
Aufblenden

[...] Habe Ch. das Wort "Rekontraktach" erklärt. Eines Tages war ich blau und hatte eine Vision. Ein Engel erschien mir und sagte: "Rekontraktach. Schreib das." Und ich fragte: "Na schön, aber was soll das?" Und er sagte: "Ist völlig egal. Schreib das und alles wird gut." Daraufhin musste ich das Wort irgendwo unterbringen, hab einen Roman mit Französin geschrieben, - Melodien, dort brachte ich es unter, Seite 545: "Ich dacht', du würdest dir haben letzte Anstand bewahrt und unsre Kontrakt achten!" [...]

Helmut Krausser - Mai Juni

2004.07.28 | 11:37 pm | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
Aufblitzen

Die Sternschnuppe im „Weißen Hai“. Die Szene kurz vor Morgengrauen, nachdem Robert Shaw die Geschichte vom Untergang der Indianapolis erzählt hat, die drei betrunken in der Kombüse Lieder singen und plötzlich der Hai wieder auftaucht, gegen den Schiffsrumpf stoßend, so dass die Planken zittern. Roy Scheider rennt an Deck, kramt angstvoll seinen Revolver hervor, in Nahaufnahme von unten, am Bug. Sein schreckverzerrtes Gesicht, der Revolver direkt vor der Kameralinse, im Hintergrund schwanken die Bootsaufbauten – und dann zieht von rechts eine Sternschnuppe durchs Bild, quer über den schwarzblauen Himmel, mit gelblich-rotem Schweif, verschwindet hinter Scheiders Kopf. Eine halbe Sekunde vielleicht, dann vorbei. Ist das bemerkt worden? Natürlich, und Spielberg hat diese Einstellung nehmen müssen, auch wenn er zwanzig andere, bessere gehabt hätte. Er hat sie nehmen müssen. Während in Herzogs „Kaspar Hauser“ im weiten Naturpanorama ein Auto über die Landstraße fährt, als im Vordergrund der schwarze Mann Kaspar gerade das Gehen beibringen will. 1828.

[...] Wer sich eine Phänomenologie der einen Empfindung ausdenkt, gerät an einen Punkt, wo das frei variierende Umdenken, weil es ein Denken ist, nicht weiterführt. Intentionalität ist eben selbst eine Art Denken. Was nicht mehr gedacht werden kann, muss sich ereignen. [...]

Manfred Sommer - Evidenz im Augenblick

2004.07.28 | 2:49 pm | Archiv PERMALINK  |  TRACKBACK
I

Sammeln also. Eigentlich ist es ganz einfach. Mal schauen, was noch da ist. Ein wenig wühlen, zaghaft. Karten umdrehen, im Geiste, und nicht gemachte Photos betrachten. Vorstadien der Entwicklung. Man fährt Bus, sechsunddreißig Stunden. Er hält in vielen Städten, der Bus, und man kann hinausblicken, die Stirn an die Scheibe gelehnt, hinausblicken, und hinein in die Städte und auf ihre Menschen, die sich bewegen und schauen, ihren Atem in den Raum blasen und zwischen die Gebäude, die von Bäumen umringt sind, an denen schon das Herbstlaub glänzt. Es wird Nacht und wieder Tag, und dazwischen liegen Grenzen und Rasthöfe, verschnupfte Mamitas und ein Gespräch auf einer Marmortreppe, irgendwo im Nirgendwo, bevor der Motor wieder anläuft, mit einem Lolli in der Hand. Und mit dem Fortschreiten der Zeit ändert sich auch die Temperatur, und das Aussehen der Sonne, und wenn man schließlich ankommt, verlassen keine weißen Wolken mehr den Mund beim Sprechen, sondern heißer Dampf umhüllt den Körper und markiert die Stadt, deren Tag gerade beginnt.

2004.07.26 | 10:07 am | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
Le temps détruit tout

Rezension

Über uns steht Mond
leis
in ruhigen Farben
und Nacht
ist stiller Freund
kein Zittern mehr
kein Fragen
Geist hat aufgeräumt

2004.07.25 | 11:03 pm | Ich >< Welt PERMALINK  |  TRACKBACK
Bildfenster

Ich bin der Meister des kleinen Momentes, denke ich, während die Stewardess zum vierten Mal mit ihrer rollenden Hausbar vorbeikommt. Die vergehende Stimmung festhalten, kurz einfangen, in Worte einwickeln, als schöne Verpackung, das geht, aber mehr nicht. Glorifizierende Miniaturen, die manchmal anrühren können oder sogar genau treffen, die sind kein Problem; ich bin eine Art Schmetterlingssammler des profankulturellen Zeitpunktes, der soziologisch-psychologischen Melancholie, der poetischen Betroffenheitsverarbeitung.
Wenn es so weit reicht.

2004.07.23 | 10:55 pm | Ich >< Welt PERMALINK  |  TRACKBACK
Fensterbild

Am Nachtzug um die Häuser ziehen Gesichter vorbei, blass lächelnd. Vorm Fenster ist der Nebel schwarz-weiß, und die Landschaft versteckt sich hinter warmer Folie und Medikamenten. Auf dem Tischchen steht ein Glas mit stillem Wasser, das immer höhere Wellen schlägt, mit jedem neuen Passieren eines Türschwellenlandes. Der Farbfilm ist schon lange am Ende und dahinter zeigen die Szenen weniger und weniger Dinge, die wieder zu erkennen sind, stoßartig in schleichenden Blitzen. Es wird ein Abschied sein, ein fliegender Moment. Erst zu spät wird der Wert des Verlorenen erkennbar, so die Floskel an der Wand, in Rauputz genagt. Ich weiß schon jetzt, glaube ich. Ich werde mir eine Anleitung kaufen, bald, wenn man mir noch die Möglichkeit lässt, Dinge zu verbessern. Honigbrot. Zwischen den Rinden, die du hinter dem Schuhschrank sammelst, stecken geheime Botschaften, immer wieder. Du denkst, ich wüsste nicht davon, doch ich bin dir gefolgt, heimlich, ich habe gesehen, wie du deine schweißnasse Stirn im Fluss gekühlt hast und im Hinterhof die Tiere hypnotisiert. Es war eine helle Nacht, deshalb. Die zusammengerollten Zettel zerfallen zwischen den Fingern, wenn man sie gelesen hast, wie trockenes Laub. Der Dachs leckt sie auf, die Reste, mit seiner rauen Zunge, mit der er mich auch weckt, manchmal. Sein Fell riecht nach Zimt, und fast kann man nichts sehen, zwischen all dem Rauch.

[...] I am a camera with its shutter
open, quite passive, recording, not
thinking. [...]

Christopher Isherwood - Goodbye to Berlin

2004.07.22 | 12:06 pm | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
18. Oktober 1977

Artnet

Art Files

Exhibition

[...] Ich sah bunte Pappschilder mit dem dicken, fleischigen Kopf von Mao Tse-tung darauf gemalt, hoch gereckt, den Kommunismus fordernd, Umsturz, permanente Revolution, den Tod des Schahs, das Ende der Unterdrückung; sie schlugen auf Jugendliche mit dem Bild Ayatollah Khomeinis ein, sie rannten die Alleen hoch und jagten diejenigen Studenten, die keine rotchinesischen Armbinden trugen, Schaufenster platzten, Glas splitterte auf die Straße. Einige Jugendliche trugen Plakate mit den Worten "Pol Pot" vor sich her, andere hatten Banner zwischen den Fäusten ausgewickelt, auf denen "Bater-Meinof" stand. [...]

Christian Kracht - 1979

2004.07.18 | 12:05 pm | Korrespondenz PERMALINK  |  TRACKBACK
Sommerfrost

Ich träume immer öfter von nordischen Ländern in letzter Zeit. Vom Knarren der Eisschollen, die sich aneinander reiben. Vom Weiß, vom Blau und vom Schwarz. Vom Wasser in all seinen Formen. Zug um Zug. Immer weiter nach oben bis Tag und Nacht verschwimmen.

2004.07.17 | 7:46 pm | Ich >< Welt PERMALINK  |  TRACKBACK
How beautiful you are, my sleeping star

Eines Morgens wachte Kaspar Hauser auf und musste feststellen, dass er sich in einen riesigen Papagei verwandelt hatte. Vorm Fenster die Farben, gleiche Welt wie immer, Tiere, Menschen, Pflanzen gleich. Er schlug die Ohren auf und flatterte in den Garten, sah die schwarz-weiße Katze, Kressebuchstaben umrundend. Kreisend stieg er höher, ließ großes Dorf unter sich, Feld, Fluss, Wald, alles gleich, alles Grün. Sah Gipfel, sah Wolken, sah Wege – darauf der Mann, der schwarze, die Wandergamaschen zwischen Schattenflecken aufblitzend, sah seinen Bart, seinen Hut. War Werner Herzog, Österreich umwandernd, später dann nach Paris, ein Leben retten. Seine Leidenschaft ist uns rätselhaft. Dann kam Zeit und Tageslicht und blinzelnd stellte Kaspar fest, dass erst jetzt der Traum begann, in dem er keine Federn hat, nur Organe. Und Worte, Gedanken und Gefühle. Sie wollen ihm erzählen, er hätte eine Seele. Wollen ihm erzählen, das wäre alles so.

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